Andrea Heisel
Übersicht
Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH organisierte ein eintägiges agiles Learning Camp. Mit diesem wurde ein selbstorganisierter Raum für intensiven Austausch und gemeinsames Lernen zur Verfügung gestellt. Zielgruppe waren unternehmensweite Mitarbeiter:innen und externe Berater:innen. Im Fokus standen Praxiserfahrungen und Lessons Learnt aus der Arbeit mit agilen Ansätzen in Projekten der Entwicklungszusammenarbeit, die sich vermehrt in fragilen und volatilen Kontexten (VUCA: volatile, uncertain, complex und ambiuguous) bewegen.
Thema
Das agile LearningCamp war als BarCamp (Peer-to-Peer-Methode für gemeinsames Lernen) konzipiert und organisiert. Bei diesem Format stehen Programm und Referent:innen nicht vorab fest. Diejenigen, die ein Thema vorstellen oder diskutieren möchten, können dies im Rahmen eigener Workshops, sog. Sessions, tun. In jeweils 45- oder auch 90-minütigen Zeiteinheiten standen für die ca. 100 Teilnehmer:innen über den Tag verteilt letztlich insgesamt fast 50 Themen auf der Agenda. Die Themen variierten zwischen Formaten wie kollegialer Beratung, Diskussion, Methodenpräsentation und Praxisanwendungen rund um das Thema „agile Methoden, agiles Arbeiten, agile Teams“.
Im Vorstellungspitch bot ich das METALOG® training tool CollaborationPuzzle als Anwendungsimpuls und Session an. Um bei dem großen Angebot interessanter Themen und Inputgeber:innen Interesse und Teilnehmer:innen zu gewinnen, wurde die folgende Ankündigung gewählt: „In dieser Session werdet ihr als Berater:innen die Gelegenheit haben, nicht nur die Perspektive eurer Kunden:innen einzunehmen, sondern regelrecht in deren Schuhe zu schlüpfen. Ihr werdet Herausforderungen real erleben, die mit der Umsetzung unseres Beratungsansatzes ‚agiles Arbeiten und agile Teams‘ einhergehen. Eins ist sicher: Ihr werdet euch dem Prozess und den Dynamiken nicht entziehen können und euch bei künftigen Beratungen sehr deutlich an diese Erfahrung erinnern.“
Die Teilnehmerzahl für diese Session wurde auf maximal zwölf Personen begrenzt. Das Interesse war geweckt und wir konnten mit der maximalen Anzahl von Teilnehmer:innen loslegen.
Inszenierung
a. Vorbereitung
Folgende Annahmen waren zugrunde gelegt:
• Die Teilnehmer:innen (GIZ-Mitarbeiter:innen und externe Berater:innen) kennen sich nicht oder nicht gut und haben in dieser Konstellation noch nie zusammengearbeitet.
• Die meisten Teilnehmer:innen verfügen über theoretische und/oder praktische Kenntnisse zu agilen Methoden und sind gegebenenfalls sogar in Scrum, Design Thinking, Lean etc. zertifiziert.
b. Durchführung
Die Übung zum Tool CollaborationPuzzle wurde nach der Logik von Scrum inszeniert: „Ich gebe euch jetzt als Entwicklungsteam alle Informationen für eure gemeinsame Aufgabe. Im Anschluss werden wir uns die Materialien gemeinsam anschauen, die dem Team für den Arbeitsprozess zur Verfügung stehen. Euer Ergebnis soll ein Holzpodest sein, in dem acht unterschiedlich lange Holzstäbe in einheitlicher Höhe eingeführt sind. Als Entwicklungsteam stehen euch maximal zehn Sprints zur Verfügung, um dieses Produkt zu erarbeiten. Zwischen den Sprints habt ihr jeweils 30 Sekunden Zeit, um den nächsten Sprint vorzubereiten. Je weniger Zeit, je weniger Sprints ihr benötigt, umso besser.
Wie laufen die Sprints ab? Ein Sprint setzt sich aus zehn Einzelbewegungen zusammen. Einzelbewegung bedeutet: Ein Holzstab kann entweder in das Podest eingeführt werden (= eine Bewegung) oder ein Stab wird herausgenommen und neben das Podest gelegt (= eine Bewegung). Jedes Teammitglied darf im Rahmen seines Beitrags bis zu zwei Arbeitsschritte ausführen. Ihr legt zu Beginn die Reihenfolge fest, in der ihr abwechselnd und nacheinander diesen Arbeitsbereich betreten werdet. Die Arbeitsschritte erfolgen in dem abgetrennten Arbeitsbereich, den wir uns zusammen – schweigend – ansehen. Dort darf sich immer nur eine:r von euch aufhalten. Während eines Sprints gilt ein striktes Rede- und Austauschverbot. Nach jedem Sprint habt ihr 30 Sekunden Zeit, um euch für den nächsten Sprint abzusprechen. Ihr könnte zweimal von der Möglichkeit Gebrauch machen, die Zeit zwischen den Sprints für eure Strategie und Absprachen um fünf Minuten zu verlängern.“
Bevor es losging, betrat das Team schweigend den abgetrennten Arbeitsbereich. Aus ca. einem Meter Entfernung konnten das Holzpodest mit zwei bereits positionierten Stäben, die in unterschiedlicher Höhe herausragten, sowie die übrigen sechs unterschiedlich langen Holzstäbe in Augenschein genommen werden. Im Anschluss standen fünf Minuten zur Verfügung, um das Vorgehen zu besprechen.
c. Verlauf
Beim Start stellte sich schnell heraus: Einige wichtige Punkte hatte das Team vergessen zu besprechen. Nach dem ersten Sprint war erst weniger als die Hälfte des Teams im Arbeitsbereich gewesen. Die meisten Teammitglieder hatten noch keine tatsächliche Erfahrung mit der konkreten Aufgabe machen können. Es brauchte zwei weitere Sprints, um als Team herauszuarbeiten, dass wesentlicher Erfolgsfaktor die Informationsweitergabe ist und hierfür Regeln und Absprachen getroffen werden müssen. Schnell war klar, dass eine gemeinsame Strategie der Schlüssel zum gemeinsamen Erfolg ist. Aber wie stellt sich das Team schnell auf, um eine solche zu entwickeln und auch im Blick zu behalten? In der Theorie war eigentlich alles klar. Aber wie kann dem Team die Praxisumsetzung gelingen?
Übertragung in die echte Welt
Elemente im Lernprojekt | Elemente in der echten Welt |
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Holzstäbe unterschiedlicher Länge | unterschiedliche Herausforderungen, Aufgaben, Kompetenzen, heterogene Teams |
Holzstäbe mit Vorbohrungen | auf den ersten Blick: klare Rahmenbedingung auf den zweiten Blick: Bohrungen mit unterschiedlicher Tiefe und auslegungsfähige Rahmenbedingungen |
Abgetrennter Arbeitsbereich | Absprachen, die vor der Ausführung der Tätigkeit notwendig sind, z. B. in Teambesprechungen |
Zwischenstopps | Auswahl von Sprint-Events (Rituale), für die die Zwischenstopps Bedeutung haben können: Sprints: gleich lang, zehn Arbeitsbewegungen (Zeitvorgaben in der Projektarbeit) Sprint Planning: zu Beginn eines Sprints die konkreten Inhalte und ein Sprintziel festlegen Sprint Review: Ergebnisse überprüfen, künftige Anpassungen festlegen, um das Produktziel zu erreichen Sprint Retrospektive: kontinuierliche Verbesserung, Lernen und zukünftiges Vorgehen beschließen |
Zeitvorgaben und -sequenzen | Scrum: ein eigenständiges Team mit allen notwendigen Kompetenzen organisiert sich innerhalb fester Zeitspannen selbst |
Die Fragen, die das Team beschäftigten lauteten:
• Was unterstützt uns dabei,
• die Herausforderungen aufgrund der räumlichen Trennung zu überwinden,
• einen unmittelbaren Informationsaustausch sicherzustellen,
• unsere unterschiedlichen Perspektiven und Kompetenzen zu nutzen?
Das Team nahm sich einen verlängerten Zeitslot zwischen den Sprints und diskutierte, wie viel Regeln und wie viel Flexibilität zur gleichen Zeit erforderlich sind. Zugleich überlegten die Teilnehmer:innen, wie viel Steuerung es braucht und wie viel Innovation auf der einen Seite – und inwieweit auf der anderen Seite auch „einfach einmal ausprobieren und Erfahrungen sammeln“ möglich sein muss, um gemeinsam weiterzukommen.
Ganz unerwartet kam der Wunsch bzw. die Frage nach Führung auf: Brauchen wir Führung und wenn ja, was für eine Art von Führung sollte es dann sein?
Reflexion
Nach 87 Arbeitsschritten wurde das Ziel erreicht. Ein nachdenkliches Team formulierte die folgenden Aha-Erlebnisse:
• Das CollaborationPuzzle ist – wie die Geschichte vom Tempelbau – eine Metapher für die innere Haltung im agilen Projektmanagement. Als Beteiligte in einem Prozess ist es wichtig, immer den Blick auf das große Ganze zu richten und diesen Fokus zu halten.
• Im Alltag passiert es leicht, sich in eine Aufgabe hineinzustürzen und dabei die Strategie aus den Augen zu verlieren. Wichtig und hilfreich ist es, zu reflektieren, innezuhalten, eine Strategie zu entwickeln und den Prozess immer weiter zu optimieren. Es könnte allerdings auch sein, dass durch die Erfahrungen aus einem spontanen Prozessablauf erst erkannt wird, welche Abstimmungen für eine erfolgreiche Weiterführung erforderlich sind (gerade für die Trainer:innen und/oder Führungskräfte eine hilfreiche Erkenntnis). Im agilen Arbeiten sind Strategie und Prozessinformationen im Sinne einer guten Kommunikation wichtige Erfolgsfaktoren.
• „Die Erfahrung hat wehgetan – sie hat uns aber wirklich weitergebracht.“