Tobias Voss
Interaktionsmetaphern? Ein Definitionsversuch
Eine persische Geschichte: Der Mullah, ein Prediger, war im ganzen Dorf dafür bekannt, dass er Menschen auf wundersame Weise heilen konnte. Eines Tages saß er vor seinem Haus, da kam ein reisender Händler zu ihm, der klagte: „Oh Mullah, bitte helfe mir. Ich reise viele Tage des Jahres mit meinem Esel von Dorf zu Dorf und biete meine Waren feil, um unser Brot zu verdienen. Doch ich bin unglücklich, weil mir die meinen, mein Weib und meine Kinder, so fehlen. Bin ich wieder zu Hause, kann ich gar nicht genug kriegen von ihnen und möchte sie nie wieder alleine lassen. Doch muss ich voll Schmerz wieder losziehen und Tag um Tag traurig darauf sinnen, sie wieder in den Armen halten zu können.“ Schweigend nahm der Mullah einen Krug, gefüllt mit süßen Nüssen, und bot sie dem reisenden Händler an. Der versenkte seine Hand tief im Krug und nahm gierig so viele Nüsse in die Hand, wie er greifen konnte. Als er die volle Hand wieder aus dem Krug ziehen wollte, verklemmte sie sich jedoch im engen Hals des Kruges. Je mehr er daran zog, desto schmerzhafter verkeilte sich seine Hand darin. Hilfe suchend blickte er zum Mullah. Der nickte nur wissend und fragte: „Willst du dich von deinen Schmerzen befreien?“ Der Händler meinte flehend: „Oh ja, bitte hilf mir schnell!“ Darauf erwiderte der Mullah: „Öffne deine Hand im Krug und lasse alle Nüsse fallen …“ Der Händler tat, wie ihm geheißen, ließ die Nüsse los und zog seine befreite Hand heraus. Doch da er sich so sehr auf den süßen Geschmack gefreut hatte, meinte er: „Aber die guten Nüsse …?!“ Weise lächelnd nahm der Mullah den gefüllten Krug, drehte ihn um und ließ Nuss um Nuss in die Hände des Mannes fallen. Der reagierte völlig verwundert: „Bist du ein Zauberer?“ „Nein, aber ich habe gelernt, wenn Festhalten und Loslassen im Gleichgewicht sind, kannst du von beidem mehr haben!“ Erhobenen Hauptes und glücklich einige Nüsse verzehrend, nahm der Händler seinen Esel und zog zufrieden weiter.
In dieser Geschichte setzt der Mullah – quasi als Coach – geschickt eine Interaktionsmetapher ein. Diese Form der Intervention „übersetzt“ eine Ausgangssituation auf eine andere, sinnesspezifische Ebene. Sie involviert die Beteiligten in eine Aktivität, die alle Sinne anspricht. Im hypnotherapeutischen Sinne wird dadurch ein Suchprozess ausgelöst, d. h. der oder die Einzelne sucht nach einer Deutung des Erlebten im eigenen Weltmodell; so kann er oder sie der Metapher Sinn geben. Dabei beinhalten Interaktionsmetaphern das Angebot, den bisherigen Blickwinkel zu verändern. Wie ein neuer Filter fordern sie zu neuen Sicht-, Hör- und Fühlweisen auf. Zentral dabei ist, dass dem Geschehen der Interaktion durch einen geeigneten Bezugsrahmen eine für die Akteur:innen sinnvolle Bedeutung gegeben wird. Das wusste schon der Mullah und bediente sich einer Interaktionsmetapher, um den Reisenden mit süßen Nüssen von einer „Entweder-oder-Logik“ zu einem „Sowohl-als-auch Denken“ zu begleiten.
In diesem Sinne sind viele klassische erlebnispädagogische Lernprojekte Interaktionsmetaphern. Diese Lernszenarien bieten den Vorteil, dass der Trainer oder die Trainerin die Gruppe sehr gut abholen kann. Zu Beginn eines Gruppenprozesses entwickeln wir mit einem ersten gemeinsamen Erlebnis den ersten Meilenstein einer Teamkultur.
Widerstand – gibt’s den?
In der erlebnispädagogischen Arbeit in Organisationen, die ja häufig mit Interaktionsmetaphern gestaltet wird, sind Trainer:innen immer wieder mit Gruppen konfrontiert, die nicht wollen wie man selbst. „Leider konnten sie sich nicht auf die Aufgaben einlassen, die wir ihnen gestellt haben, obwohl sie ihnen so viel gebracht hätten“ oder „In der Gruppe war Widerstand“ heißt es dann. Für die Gruppenleiter:innen wird dann die Veranstaltung zu einer Zitterpartie, unter der sowohl die Gruppe als auch die pädagogische Leitung leiden.
Aus einer systemisch-konstruktivistischen Sichtweise ist die Beschreibung „Die Gruppe zeigte Widerstand“ lediglich die Beschreibung eines Blickwinkels. Das Geschehen zwischen Gruppenleitung und der Gruppe ist jedoch ein zirkulärer Prozess und muss auch als solcher beschrieben werden. Und da Menschen Wesen sind, die nach der Sinnhaftigkeit ihres Handelns trachten, könnte die Szenerie besser beschrieben werden als: „Von Seiten der Trainer:innen sind an die Gruppe Angebote gemacht worden, die zu dem entsprechenden Zeitpunkt für die Teilnehmer:innen nicht sinnvoll waren. Die Gruppe/Einzelne aus der Gruppe haben also nach dem eigenen gesunden Menschenverstand gehandelt und die Aufgabe abgelehnt.“
Wenn es also Ziel ist, eine Gruppe zu motivieren, sich auf erlebnispädagogische Lernprojekte einzulassen – insbesondere wenn die Gruppe nicht per se neugierig motiviert ist – macht es Sinn, vorhandenen Bedürfnissen wie „Wir wollen erst gehört werden!“ oder Fragen wie „Wieso das Ganze hier?“ nachzugehen. Diese Bedürfnisse oder Fragen können als Kraft zur Selbstorganisation und Autarkie der Gruppe gewertet werden und stellen so für die pädagogische Leitung der Gruppe eine nicht zu vernachlässigende Ressource dar. Widerstand bedeutet dann zum Beispiel „Wir haben hier und jetzt andere Bedürfnisse!“ und „Ich möchte mehr Information über das haben, was heute noch passieren wird!“. Außerdem ist es sinnvoll, zum geplanten Programm geeignete „Produktinformationen“ zu liefern. Die „Verpackung“ der geplanten erlebnispädagogischen Arbeit durch geeignete Bezugsrahmen spielt dabei eine wichtige Rolle.
Am Anfang war der Bezugsrahmen
Ein systemisch-konstruktivistisches Gedankenexperiment: Um die Tragweite folgender Gedanken zu verdeutlichen, möchte ich Sie als Leser:in in eine Interaktionsmetapher verwickeln. Dabei benötige ich Ihre Mithilfe. Wichtig ist, dass Sie sich an ein paar Abmachungen halten: Beantworten Sie für sich die Fragen in den oben stehenden Kästen und notieren Sie Ihre Antwort. Decken Sie zuerst alle Kästchen und die dazugehörenden Fragen ab. Beantworten Sie die Fragen der Reihenfolge nach und decken Sie immer nur das Kästchen auf, mit dem Sie sich gerade beschäftigen. Einverstanden?
Bedeutung geben und nehmen
Falls Sie das Experiment so durchgeführt haben, wie ich es Ihnen vorgeschlagen habe, haben Sie die Wirkungsweise von Bezugsrahmen auf die Entstehung von subjektiv erlebter Wirklichkeit erfahren. Unter 1. haben Sie lediglich das weiße Blatt als Bezugsrahmen (das ist nicht viel, jedoch mehr, als Sie denken, denn das Heft an sich stellt ebenfalls einen Bezugsrahmen dar, sagt Ihnen der Text doch, dass die Information nicht etwa auf dem Kopf steht). Unter 2. geben Sie der Information wahrscheinlich die Bedeutung 13 und unter 3. verändern Sie die Bedeutung nochmals nach B. Welche Bedeutung hat Ihr Gehirn für den Punkt 4. parat?
Die Bedeutung macht der Empfänger bzw. die Empfängerin
Falls Sie die von mir vorgeschlagenen Regeln anders oder gar nicht beachtet haben, haben Sie zusätzlich die Selbstorganisation autonomer Systeme erlebt. Sie als autonomes System haben dann aus einem Grund, der Ihnen in dem Moment sinnvoll erschien, z. B. zuerst Punkt 3. und dann Punkt 1. gelesen, Ihre Antworten nicht schriftlich eingetragen oder sogar die Verwicklung in das Gedankenexperiment ganz abgelehnt und sind gleich zur nächsten Textpassage übergegangen. Sie sind also meiner Einladung zu Beginn des Gedankenexperiments, die übrigens auch einen Bezugsrahmen darstellt, nämlich den für das Gedankenexperiment selbst, nicht gefolgt.
Bezugsrahmen sind also eine Einladung, die umso deutlicher wirken, je mehr Sinn die Botschaft für den:die Empfänger:in macht und je besser der Kontakt zwischen dem Sender und dem:der Empfangenden der Botschaft ist. Die Bedeutung der Botschaft macht in jedem Fall der Empfänger oder die Empfängerin nach den Regeln seines:ihres Weltmodells.
Übertragen wir den Gedanken „Bezugsrahmen erzeugt Wirklichkeit“ auf erlebnispädagogische Settings, wird deutlich, dass wir uns permanent im Prozess des „Bedeutungsgebens“ befinden. Denn alle Aktionen, zu denen die Gruppe eingeladen wird, werden zuvor mit Bedeutung aufgeladen. Welche Bedeutung wir dabei wählen, fokussiert selektiv die Wahrnehmung und damit das Erlebnis der Akteur:innen. Wie also die gesamte Veranstaltung und einzelne Lernprojekte wahrgenommen werden, hängt maßgeblich damit zusammen, wie deren Bühne bereitet wird. Ich kann ein Lernprojekt als „Spiel“ ankündigen oder als „ernsthaftes Erfahrungsfeld für die Akteur:innen“ – die generalisierten Erfahrungen werden unterschiedlich sein.
Bezugsrahmen für die Inszenierung von Interaktionsaufgaben sollten Folgendes leisten
Pacing: Ein wertschätzendes Ankoppeln an das Denken und Fühlen Einzelner und der Gruppe als Ganzes. Die Gruppe sollte „abgeholt” werden und die Blickwinkel jedes und jeder Einzelnen sollten vorbehaltlos akzeptiert und angenommen werden. Der Coach sollte sich hierbei des Prinzips der Allparteilichkeit bedienen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass Einzelne oder Teile der Gruppe isoliert werden.
Orientierung geben: Die Gruppe bekommt Orientierung und dadurch Sicherheit.
Zieldienliche emotionale Zustände: Es ist sinnvoll, für den Lernprozess geeignete emotionale Zustände wie z. B. Neugier, Spannung, Freude usw. hervorzurufen.
„Brillen anpassen“
Es sollte eine geeignete Erwartungshaltung aufgebaut werden, die dazu beiträgt, dass sich die Gruppe voll und ganz auf den nun folgenden Prozess einlassen kann und den maximalen Nutzen daraus zieht. Beim Gestalten von Bezugsrahmen ist der Trainer bzw. die Trainerin als „Realitäten-Optiker“ tätig. Dabei müssen die Bezugsrahmen nicht unbedingt ausschließlich inszenierende Worte sein. Auch eine Interaktionsmetapher kann als Bezugsrahmen dienen. Im Folgenden ein Beispiel zur Arbeit mit Interaktionsmetaphern in einem Unternehmen der IT-Branche.
Eine Interaktionsmetapher als Bezugsrahmen für eine Teamentwicklung: die Fahrrad-Methode
Der tragfähige, wertschätzende Kontakt mit der Gruppe stellt die Basis für die gemeinsame Arbeitsweise dar. Jedes Gruppenmitglied möchte gesehen und gewürdigt werden und das emotionale „Risk Level“, also das soziale Risiko, das der:die Einzelne eingehen möchte und kann, muss angemessen sein. Darüber hinaus lassen sich Menschen leichter auf Neues ein, wenn sie den Sinn hinter einer Tätigkeit oder Aufgabe verstehen. Dabei macht es für Ingenieure eines IT-Unternehmens auf den ersten Blick keinen Sinn, sich durch ein „Spinnennetz“ (EasySpider) heben zu lassen. Freilich wissen wir, wenn sie sich doch schon längst darauf eingelassen hätten, ja vielleicht die Aufgabe sogar schon als Team gelöst wäre, sieht – auch aus der Perspektive der Ingenieure – einiges anders aus oder fühlt sich zumindest anders an, denn jetzt gibt es emotionales und kommunikatives Material, mit dem wir arbeiten können.
Aber so weit sind wir noch nicht: Sie sitzen noch da, die Krawatte ist zwar schon abgelegt, der oberste Hemdknopf noch zugeknöpft. Welche konkreten Vorgehensweisen und Settings machen das Abholen der Gruppe einfacher und erhöhen dabei das Commitment der Teilnehmer? Wie gelingt es, hier den guten Draht aufzubauen?
Das Team
Ziel ist es, ein internationales Team technisch orientierter Ingenieure aus einem Unternehmen der IT-Branche „abzuholen“ und auf einen Tag vorzubereiten, an dem die Gruppe mehrere Interaktionsmetaphern, insbesondere auch „Low Events“ im Outdoor-Bereich, durchführen wird. Inhaltlich wird das Ziel verfolgt, eine Gruppensynergie zu erzeugen und eine wachsende Kultur des Miteinanders zu entwickeln. Vorab wurde mit jedem Teilnehmer ein Telefongespräch geführt. Einzelne Teilnehmer berichteten von Uneinigkeiten untereinander. Nach kurzem Small Talk sitzt die Gruppe erwartungsvoll im Workshopraum.
Fokus auf das Unerwartete
Der Trainer zeichnet ein Fahrrad ans Flipchart und erklärt: „Ich möchte Sie gerne zum Einstieg in den Tag auf ein kleines Gedankenexperiment einladen und Ihnen meine Arbeitsweise erläutern. Wir wollen den heutigen Tag dazu verwenden, etwas Praxisorientiertes für Sie als Team zu machen. Stellen Sie sich vor, dieses Fahrrad steht hier im Raum und wird von einem von Ihnen am Lenker so stabilisiert, dass es weder nach rechts noch nach links umfallen kann. Vorwärts und rückwärts kann es sich bewegen. Die Pedale stehen senkrecht, also eine zeigt nach oben, die andere nach unten. Die Pedale, die nach unten zeigt, befindet sich auf der Ihnen zugewandten Seite. Stellen Sie sich nun weiter vor, ich binde an die nach unten zeigende Pedale eine Schnur und ziehe mit dieser Schnur horizontal nach hinten.“ Der Trainer zeichnet die Schnur ein.
Erste Einladung, auf ungewöhnliche Weise aktiv zu werden
„Wohin bewegt sich das Fahrrad? Beraten Sie sich jetzt bitte kurz mit Ihrem Nachbarn!“ Die Gruppe steckt die Köpfe zusammen und diskutiert … Einstimmig entscheiden sich die Teammitglieder dafür, dass sich das Rad vorwärts bewegen muss. Jetzt holt der Trainer ein bisher verborgenes Fahrrad hervor und befestigt, wie in der Theorie am Flipchart gezeigt, eine Schnur am Pedal. Nun soll ein Teilnehmer das Fahrrad halten und ein anderer an der Schnur ziehen.
Die Magie des Unerwarteten nutzen
Zur Verwunderung der gesamten Gruppe bewegt sich das Fahrrad rückwärts. Den Zustand der Verwunderung nutzt der Trainer und bietet einige neue „Brillen“ an. „Was ich mit diesem Experiment zeigen wollte, war die Beziehung von Theorie und Praxis. Zum Thema Kooperation in Teams gibt es viele Theorien. In der Praxis sieht die Sache häufig ganz anders aus – wie wir ja gerade erlebt haben. Deshalb schlage ich vor, den heutigen Tag zu nutzen, um mit Ihnen verschiedene Lernprojekte durchzuführen und danach jeweils zu sehen, was diese Erfahrungen für Sie, als sich entwickelndes Team, bedeuten. Nun, als Erstes möchte ich Sie bitten aufzustehen und …“. Los geht’s mit dem nächsten Lernprojekt fürs Team.
Start-Phase der Teamentwicklung: Abholen der Gruppe durch Utilisieren des technischen Weltmodells der Teilnehmer mithilfe eines technischen Rätsels
Die Aufmerksamkeit der Gruppe wird auf etwas Ungewöhnliches, Unerwartetes fokussiert. So entsteht eine geeignete submodale Orientierung, um besonderen Vorgehensweisen (nämlich der Teamentwicklung) eine besondere Bedeutung zu geben.
Die Fahrrad-Analogie setzt Praktisches/Praxis gleich mit erlebnisorientierten Interaktionsmetaphern. Auf der Ebene des emotionalen Fokus wird das Aha-Erlebnis in Verbindung gebracht mit zukünftigen Lernprojekten. So wird eine neugierige Erwartungshaltung aufgebaut. Implizit werden Begriffe wie „… Sie als sich entwickelndes Team …“, „…etwas Praxisorientiertes für Sie als Team machen …“, „… Kooperation innerhalb von Team …“, verwendet und der inhaltliche Bezugsrahmen wird festgesteckt.
Auf diese Art und Weise kann mithilfe einer Interaktionsmetapher die Gruppe dort „abgeholt“ werden, wo sie steht. Gleichzeitig wird auf vielfältigen Ebenen der Gruppenprozess in Gang gebracht.
Konflikte bewegen
Churchill und Adenauer pflegten während schwieriger Gespräche stundenlang spazieren zu gehen, sich zu bewegen. Sie schienen begriffen zu haben, dass körperliche, äußere Bewegung auch mentale, innere Bewegung bedeutet. So vollzogen sie bei ihren schwierigen politischen Verhandlungen mit jedem körperlichen Schritt einen geistigen Positionswechsel.
Konfliktchoreografie unterbrechen
Im Körper werden über Bewegung, Atemmuster, Haltung, Stimmlage etc. emotionale Zustände codiert. Diese meist unwillkürlich ablaufenden ideomotorischen Körpermuster werden dann im Zusammenspiel und in der Kommunikation mit anderen Personen durch Rückkopplungsschleifen stabil gehalten. Pflege ich also einen Konflikt mit jemandem und erlebe diesen unveränderlich, lässt sich eine Art sich wiederholende „Konfliktchoreografie“ beobachten. Ein Beispiel: Eine Person stellt bei einer Begegnung in der Kaffeeküche seine Tasse auf, statt in die Spülmaschine, der andere fühlt sich dadurch persönlich angegriffen und herabgesetzt und geht, ohne zu grüßen. Nun fühlt sich wiederum die erste Person nicht beachtet/gewertschätzt. Bei der nächsten Begegnung „wissen“ wir bereits, dass der oder die andere uns nicht mag und müssen vorsichtig sein. Alle unsere Körpermuster stehen auf Abwehr (einer möglichen Verletzung) – unbewusste körperliche Kommunikation wird wahrgenommen und gesendet und alle weiteren Aktionen bestätigen die Vorannahmen, in deren Rahmen wir den anderen oder die andere verstehen. Mit unserer Körpersprache drücken wir aus, dass wir uns vor möglichen Angriffen schützen müssen, wehrhaft sind, den anderen genauso wenig schätzen etc. Unsere Körpersprache verstetigt und festigt sich in der Begegnung alle weiteren Male in einer Art Choreografie. Mit Interaktionsmetaphern lässt sich dieses Muster in einem komplett anderen Rahmen – in Sicherheit und mit Spaß – leichter unterbrechen und bietet Einflugschneisen für Lösungen oder Erkenntnisse über unsere Mitmenschen, die vorher in der alten Choreografie verborgen blieben.
Ein Beispiel: SysTeam
Eine sechsköpfige Arbeitsgruppe, in der es in der Vergangenheit Spannungen gegeben hat, holt sich Unterstützung durch einen Coach. Ohne anfangs explizit über die Inhalte der Auseinandersetzung zu reden, stellt der Coach im Raum einen Ständer auf, auf dem eine frei gelagerte Tischplatte balanciert wird. Auf die runde Platte stellt er verschiedene Figuren, die nach einem bestimmten System bewegt werden müssen. Die Platte samt Figuren kann, wenn sie nicht in Balance gehalten wird, herunterfallen. Jetzt inszeniert der Coach das Lernprojekt: „Ich möchte zum Einstieg eine kleine, vielleicht etwas ungewöhnliche Aktion mit Ihnen durchführen. Hierzu benötige ich Ihre Unterstützung. Bitte stehen Sie kurz auf und suchen sich einen Partner. In jedem Zweierteam gibt es einen Blinden (der Coach teilt Augenbinden aus), den sogenannten „Greifer“, und einen „Sprecher“. Der Sprecher leitet den Greifer an, die Figuren zu bewegen, darf ihn jedoch nicht berühren. Die runde, bewegliche Platte ist in drei Felder unterteilt; auf jedem Feld stehen fünf Figuren. Ihre Aufgabe ist es, jetzt alle Ihre Figuren genau ein Feld weiter zu bewegen. Dabei darf jedes Zweierteam nur jeweils eine Figur bewegen, dann ist das nächste Team dran. Los geht’s …“ Jetzt beginnt die Gruppe mit der Aufgabe und wird vom ersten Moment an von der Spannung gepackt, weil gleich beim Anheben der ersten Figur klar wird: Die Platte bewegt sich ja wirklich bedrohlich. Nach einigen Zügen auf dem Brett wird auch schnell klar, dass jedes Zweierteam für die anderen mitdenken muss, da ansonsten der nächste Zug unmöglich wird und die Lösung der gesamten Aufgabe nicht gelingt. Nach zehn Minuten schafft es die Gruppe, auch die letzte Figur an ihren gewünschten Platz zu bewegen. Das Ziel ist erreicht. Alle setzen sich – irgendwie beschwingt – auf ihre Stühle. Und aus der Führungskraft der Gruppe platzt es heraus „Jetzt wird mir einiges klar. Ich glaube, wir müssen an unserer Balance arbeiten“ und eine produktive, inhaltliche Diskussion über das Wie der Zusammenarbeit entsteht. Der Coach unterstützt moderierend die Diskussion und hilft Einzelnen, sich gegenseitig wertschätzend Feedback zu geben. Die impliziten Vorannahmen der Interaktionsmetapher stellen dabei den Rahmen für die Diskussion dar: Wie die Figuren auf dem Brett, sind auch wir voneinander abhängig. Wenn einer sich ungeschickt bewegt, bringt das eventuell alle anderen auch aus dem Gleichgewicht. Wir müssen miteinander kooperieren, sonst „stürzen“ wir ab. Es gibt in jedem System „Blinde“, das sind diejenigen, die über weniger Information verfügen. Diese benötigen besondere Fürsorge. Wir müssen an die Balance der gesamten Organisation denken. Darüber hinaus wird die emotionale Basis, um inhaltlich über die Konflikte zu sprechen, ressourcenorientiert und in einem veränderten Muster gestaltet. Das „emotionale Sprungbrett“, um sich in die inhaltlichen Wogen des Konflikts gleiten zu lassen, ist also ein ganz anderes, als wenn die Gruppe gleich direkt mit dem Thema konfrontiert werden würde.
Einige Mechanismen von Interaktionsmetaphern
Einerseits erzeugt die Durchführung von Interaktionsmetaphern authentisches Verhalten bei den Akteur:innen. So geht z. B. der informelle „Leader“ der Gruppe in die Führungsrolle oder die schüchterne Mitarbeiterin hält sich zurück. Anderseits bieten Interaktionsmetaphern die Möglichkeit, neue Rollen zu erproben und somit neue Erfahrungen in der Interaktion zu sammeln.
Interaktionsmetaphern wirken auch indirekt: Je nach Reaktion der Gruppe und dem momentanen Ziel ist es möglich, in der Metapher zu bleiben oder die Themen offen anzusprechen. Interaktionsmetaphern bilden Wechselwirkungsprozesse zwischen Systembeteiligten ab. So kann die vorliegende Dynamik einer Situation visualisiert und erlebbar gemacht werden. Dieser Vorgang erleichtert es den Beteiligten, eine Meta-Position einzunehmen und so neue Erkenntnisse über ihre Situation zu gewinnen.
Interaktionsmetaphern beinhalten vielfältige Botschaften auf allen Sinneskanälen, die mit Worten allein nicht transportierbar wären. Sie sind ein Beispiel für Mehrebenen-Kommunikation.
Durch Bewegung, Körperarbeit und Einbindung der anderen Sinne wird die Kommunikation auch mit unbewussten Anteilen gefördert. Neue kreative Sicht-, Hör- und Fühlweisen werden angeregt. Interaktionsmetaphern sind gleichzeitig ein Instrument der Diagnose sowie der Intervention.
„Zutaten“ wirkungsvoller Interaktionsmetaphern: die Wirklichkeit emotionaler Zustände
Was ich als Wirklichkeit erlebe, ist Ergebnis meiner jeweiligen Wahrnehmungsfokussierung, d. h. es stellt keine Aussage über „Wahrheit“ dar, sondern darüber, in welche Erlebnis- und Wahrnehmungsbereiche ich selektiv absorbiert bin. Solche, mit denen ich mich mehr assoziiere, erlebe ich als gültige Wirklichkeit, andere treten in den Wahrnehmungshintergrund, sie werden dissoziiert. In diesem Sinne rufen Interaktionsmetaphern bei der Durchführung „Sinnvolle“ emotionale Zustände wie zum Beispiel Konzentration, Spannung, Neugier, Spaß, Bewegung usw. hervor. Allein das Erleben einer so gearteten Interaktion kann bei einem Team, das sich zuvor vor allem im Problemfokus befunden hat, einen wirkungsvollen Wechsel im gegenseitigen Verhaltens- und Wahrnehmungsmuster erzeugen. In jedem Fall jedoch erzeugt die Interaktionsmetapher ein emotionales Sprungbrett für die nächsten Schritte im Coachingprozess.
Bezugsrahmen gestalten bedeutet Inszenieren
Gestaltete Bezugsrahmen inszenieren die Erlebnisse und geben ihnen den Bedeutungsrahmen, der für die Zielgruppe relevant sind. Sie gestalten z. B. die Sinnhaftigkeit der Veranstaltung oder die Relevanz eines Lernobjekts für eine spezielle Gruppe. Sie sorgen für die zieldienliche Nutzung der Erfahrung und erzeugen Nachhaltigkeit. So sind Interaktionsmetaphern polykontextuell nutzbar, da sie nur einen Mechanismus abbilden, der in unterschiedlichen Kontexten sehr unterschiedliche Erfahrungen und Bedeutungen erlebbar machen kann.
Isomorphie/strukturelle Ähnlichkeit
Die Interaktionsmetapher sollte so gestaltet sein, dass zwischen der Welt der Metapher und dem Weltmodell der Akteur:innen strukturelle Ähnlichkeit hergestellt werden kann.
Systemische Aspekte
Maturanas Konzept der Autopoiese – zu Deutsch: Selbstgestaltung – hat gezeigt, dass Systeme auf ihre Umwelt reagieren, jedoch nur auf die Art und Weise, wie sie selbst strukturiert sind. Für das Coaching und die Beratung von Teams und Organisationen mit erlebnispädagogischen Konzepten, wie z. B. Interaktionsmetaphern, bedeutet das nun, dass kein System nachhaltig in eine bestimmte Richtung verändert werden kann, wenn die Menschen nicht für sich einen Sinn in einer solchen Veränderung sehen. Darüber hinaus muss die Kosten-Nutzen-Bilanz der Veränderung in der Abwägung zwischen dem Ist-Zustand und dem Veränderungsziel positiv ausfallen. Interaktionsmetaphern sind hocheffektive Einladungen, Veränderungen zu folgen, wenn sie in eine differenzierte beraterische Vorgehensweise eingebettet sind. Dazu gehören nach meiner Erfahrung neben einer ausführlichen Auftragsklärung auch die Einbettung der Lernprojekte in ein übergeordnetes Coaching-Szenario und – wie momentan in aller Munde – die Fürsorge um die Nachhaltigkeit.
Auftragsklärung
Zur Klärung des Auftrags ist es sinnvoll, folgende Aspekte mit einzubeziehen:
• Wie ist die Idee zur Beratung/Teamentwicklung mit erlebnispädagogischen Elementen entstanden?
• Wie wirkt sich die Erwartungshaltung an die Coaches auf deren Situation in der Teamwirklichkeit aus?
• Welche Auswirkungen hätte es, wenn die Coaches die an sie gerichteten Aufträge erfüllen würden? Insbesondere: Welche Personengruppen könnten dadurch ausgegrenzt werden?
• Könnte der Auftrag die Wiederholung eines problemstabilisierenden Lösungsversuchs darstellen und somit nicht den eigentlichen übergeordneten Zielen des Systems dienen?
Abschließen sollte der Prozess mit der gemeinsamen Entwicklung zieldienlicher Vorgehensweisen. Beispielsweise ist es sinnvoll zu klären, wie hoch der Anteil an handlungsorientierten Elementen überhaupt sein soll.
Nachhaltigkeit erzeugen durch Erinnerungsanker
Interaktionsmetaphern sind ein hervorragendes Werkzeug, um Nachhaltigkeit zu erzeugen. Ein Beispiel: Die Teilnehmer bekommen eine Interaktionsmetapher in Form eines konkreten Gegenstands, gekoppelt an eine Aufgabe in ihrem Arbeitskontext. So erarbeitet sich eine Gruppe, die sich regelmäßig bei bestimmten Themen in konfuse Diskussionen verstrickt und vom roten Faden des Meetings abkommt, im Workshop konkrete Strategien, wie die Moderation in Zukunft selbst zielgerichtet gesteuert werden kann. Diese Lösungsstrategien werden noch während des Workshop mit einer tatsächlichen Rolle roten Garns in Verbindung gebracht. Zum Abschluss bekommt der Moderator der Gruppe die Garnrolle in die Hand gedrückt mit der Aufgabe, diese beim Abkommen vom roten Faden – sozusagen als Erinnerungshilfe – für alle sichtbar auf den Tisch zu stellen.
LITERATUR
Erickson, M., Rossi, E. (1981): Hypnotherapie. München: Pfeiffer.
Gilligan, S. (1991): Therapeutische Trance. Das Prinzip der Kooperation in der Erickson’schen Hypnotherapie. Heidelberg: Carl Auer.
Maturana, H. R. (1997): Was ist Erkennen? München: Piper.
O’Conner, J., Seymour, J. (2002): Neurolinguistisches Programmieren: Gelungene Kommunikation und persönliche Entfaltung. Freiburg: VAK.
Schmidt, G. (1985): Gedanken zum Erickson’schen Ansatz aus einer systemischen Perspektive. In: Peter, B. (Hrsg.): Hypnose und Psychotherapie nach Milton Erickson. München: Pfeiffer.
Schmidt, G. (2001): Hypnosystemische Teamentwicklung. Auf dem Weg zum Dream Team. In: ISCT: Lernende Organisationen. Ausgabe 2/2001.
Walker, W. (2000): Abenteuer Kommunikation. Stuttgart: Klett-Cotta.