Andreas Splett
Überblick
Bei der Planung eines großen, internationalen Projekts für ein Biopharmaunternehmen kam die Frage auf, wie sich verhindern lässt, was sonst Standard zu sein scheint: Schlechte Kommunikation führt zu Teamkonflikten bis hin zum Scheitern des Projekts – oder zumindest zu wesentlichen Abweichungen in Bezug auf Zeit, Geld und Leistung. Zugleich vertrauen die meisten Menschen nur auf Dinge, die ihnen bereits bekannt sind, und fürchten alles andere. Dabei ließe sich Diversität in Projekten eigentlich gewinnbringend nutzen.
Als interner Projektleiter sollte ich gemeinsam mit dem Projektteam ein neues Finanzverwaltungssystem einführen; dies betraf also alle Bereiche des Unternehmens. Die Aufgabe war insofern herausfordernd, als es sehr viele Vorgaben der internationalen Muttergesellschaft gab und diese mitunter nicht kompatibel mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen in Deutschland waren. Zudem wurde die ambitionierte Zeitvorgabe eher skeptisch bis negativ wahrgenommen.
Das Projektteam mit insgesamt 16 Personen (inkl. mir) hatte zuvor noch nicht in dieser Konstellation zusammengearbeitet. Konflikte waren fast unausweichlich – doch wir wollten diesen proaktiv begegnen.
Thema
Wenn man viele Lessons-learned-Workshops durchgeführt hat, weiß man, dass in der Regel das Thema Kommunikation ganz weit oben auf der Liste der Dinge steht, die im Projekt schiefgelaufen sind: Projektbeteiligte hätten sich die Informationen zu einem früheren Zeitpunkt oder in einer anderen Form gewünscht. Die daraus resultierenden Herausforderungen werden nicht selten zu interpersonellen Konflikten. Deswegen wurde dieses Problem bereits im Startworkshop thematisiert.
Inszenierung
a. Vorbereitung
Die beiden Tools Pfadfinder und Tower of Power wurden nacheinander im Startworkshop eingesetzt. In der folgenden Beschreibung unterscheide ich zwischen Teil 1 (Pfadfinder) und Teil 2 (Tower of Power + Augenbinden).
• Um keine Zeit mit dem Aufbau zu verbringen, wurden der Pfadfinder und auch später der Tower of Power in einem angrenzenden, nicht einsehbaren Raum vorab aufgebaut.
• Die Steine des Tower of Power wurden auf einer Seite mit Aufklebern versehen. Sie wurden mit Aufgaben beschriftet, die in einer noch zu definierenden Reihenfolge abzuarbeiten waren und zu denen konkurrierende Ansichten der Teilnehmenden zu erwarten waren.
• Zwei Flipcharts mit Stiften standen bereit. Ein Flipchart zeigte die Regeln, ein anderes Flipchart war leer zur Dokumentation der Reflexion.
Teil 1: Pfadfinder
b. Durchführung
Nach einer Vorstellungsrunde inkl. Erwartungsabfrage leitete ich folgendermaßen das erste Lernprojekt ein: „Wir stehen gemeinsam vor einer herausfordernden Aufgabenstellung. Ihr habt schon bei der Vorstellungsrunde klargemacht, dass ihr sehr viel Wert legt auf eine gute Kommunikation, ein abgestimmtes Vorgehen und einen einfachen Informationsaustausch. Da diese Themen in der Vergangenheit immer wieder für Projektteams herausfordernd waren, habe ich eine kleine Simulation vorbereitet, die uns helfen soll, unser Projekt erfolgreich durchzuführen. Ziel ist es, alle Mitarbeiter:innen mitzunehmen, um unser Finanzsystem vom jetzigen Stand (Geste auf die eine Seite des Aktionsfelds des Pfadfinder) in die Zukunft (Handgeste auf die andere Seite) zu bringen. Ihr habt nun nicht 20 Wochen wie in unserem konkreten Projekt Zeit, sondern 20 Minuten nach der Planungsphase.“
Ich erkläre kurz die üblichen für Pfadfinder geltenden Regeln, die auch auf dem einen Flipchart notiert sind, und fahre fort: „Wir alle werden in diesem Projekt Fehler machen und das lässt sich bei komplexen Aufgabenstellungen unter Zeitdruck auch nicht verhindern. Wir können uns aber dabei unterstützen, keine Fehler zu wiederholen. Eure Planungszeit startet jetzt.“
c. Verlauf
Die Gruppe spaltete sich schnell in drei kleinere Gruppen, von denen jede versuchte, jeweils eine Strategie zur Bewältigung der Aufgabe zu entwickeln. Während der letzten 60 Sekunden der Planungszeit wurde dann versucht, daraus ein Vorgehen zu machen. Die letzten zehn Sekunden habe ich laut heruntergezählt. Ein Teilnehmer stellte danach eine Verständnisfrage, die ich aufgrund des Schweigegebots mit 1.000 Metalog geahndet habe. Der anschließende Protest hat die Gruppe weitere 1.000 Metalog gekostet. Weitere vernehmliche Diskussionen blieben daraufhin aus.
In meiner Inszenierung erhielten die Teilnehmer:innen entsprechend der Teilnehmerzahl (16 Personen) 16.000 Metalog sowie weitere 2.000 Metalog als Puffer. Hierdurch wurde diese anfängliche Situation kompensiert. Die Teilnehmenden unterstützten sich mit Gesten bei der Bewältigung der Aufgabe. Neben Wiederholungsfehlern musste auch für dieses aktive Helfen und für das zeitgleiche Betreten der Inszenierungsfläche Strafe gezahlt werden.
Das Lernprojekt endete in Minute 19 mit einer erfolgreichen Erfüllung der Aufgabe, die die Gruppe zum stummen Jubel animierte.
Übertragung in die echte Welt
Elemente im Lernprojekt | Elemente in der echten Welt |
---|---|
Nicht sprechen dürfen | nicht alle Personen sitzen am selben Standort in derselben Zeitzone; nicht alle sprechen gleichermaßen gut Englisch |
18.000 Metalog | limitiertes Budget und dadurch limitierte Ressourcen |
Vemeintlich überschaubares Aktionsfeld | komplexe Projektaufgabe, die sich nicht sofort komplett erfassen lässt |
Zeitdruck | Management erwartet schnelles, erfolgreiches Abarbeiten der Aufgaben |
Vermeidbare Fehler Gemeinsames Betreten der Fläche Mehrfach das gleiche Feld ausprobieren, obwohl dieses schon als falscher Weg bekannt war Reihenfolge wird nicht eingehalten | Doppelarbeit – sich nicht absprechen keine Beachtung der vorher erarbeiten Ergebnisse von Kolleg:innen – nicht voneinander lernen oder auch sich nicht austauschen keine Rücksicht nehmen auf Partner:innen im Projekt – die eigene Geschwindigkeit durchsetzen |
Unvermeidliche Erstfehler werden nicht bestraft | seid mutig, probiert Neues aus, überdenkt den Status quo und ob alles so notwendig ist, wie es sich bisher dargestellt hat |
Reflexion
Das Team zog folgende Erkenntnisse für sich aus der Übung:
• Wir brauchen uns gegenseitig, um erfolgreich zu sein.
• Fehlende Kommunikation ist kaum auszugleichen – lieber noch einmal zurück und nochmals planen (es wurde nach der Hälfte der Zeit eine zweite Planungsphase eingekauft).
• Unterschiedliche Vorgehensweisen durch unterschiedliche Kulturen in den Abteilungen und auch Ländern führen zu Missverständnissen (dies gilt insbesondere, wenn Abkürzungen benutzt werden, die nicht gleich verwendet werden).
• Absprachen müssen Bestand haben – nicht der Lauteste hat recht.
• Zeitdruck erhöht die Wahrscheinlichkeit, Fehler zu machen.
• Man sollte Hinweise nicht als Besserwisserei kritisieren, sondern sich zurücknehmen und erst reflektieren, was man daraus lernen kann.
• Dokumentation hilft, das Bisherige nachvollziehen zu können.
Tipp: Wir haben die Ergebnisse der Reflexion sofort auf einem Flipchart für alle sichtbar dokumentiert.
Fazit
Trotz der hohen Teamdynamik und auch verbaler sowie nonverbaler Auseinandersetzungen war das Team stolz darauf, alle Projektmitglieder gemeinsam ans Ziel gebracht zu haben. Diese positive Grundstimmung nutzten wir nun, um zu erarbeiten, was alles im Projekt getan werden muss, um es gemeinsam als Team erfolgreich zu beenden.
Teil 2: Tower of Power
b. Durchführung
Nachdem der Startworkshop im vollen Gang ist, wird es Zeit, uns an die Ergebnisse aus der ersten Übung zu erinnern und weitere Erfahrungen zu sammeln. Wir wechseln wieder in den zweiten Raum, wo der Aufbau des Pfadfinders dem Tower of Power gewichen ist. Die Klötze stehen verteilt im Zimmer und sind beschriftet mit wichtigen Arbeitspaketen des Projekts.
„Wir haben als Gruppe heute schon sehr viel erreicht und ich freue mich darauf, gemeinsam mit euch das Projekt zu meistern. In den Diskussionen haben wir festgestellt, dass wir gemeinsam ein gutes Grundwissen über notwendige Schritte haben. Doch lasst uns noch ein wenig konkreter werden.
Vor uns steht wieder eine gemeinsame Projektaufgabe, die es zu lösen gilt. Wir wollen gemeinsam als Team einen Turm bauen. Die Höhe ist vorgegeben durch die acht unterschiedlich geformten Holzklötze. Diese sollen mit dem Kran gestapelt werden, wobei der Kran nur über die Seile gesteuert werden kann. Und wie im echten Leben dürft ihr nicht einfach mehr Einfluss auf den Kran nehmen, indem ihr die Schnüre verkürzt oder loslasst. Ihr habt eine halbe Stunde dafür Zeit, die Arbeitspakete in der Reihenfolge ihrer Abarbeitung mit dem Kran übereinanderzustapeln. Eure Zeit beginnt jetzt.“
c. Verlauf
Durch die unterschiedlichen vertretenen Hierarchien wurde erwartungsgemäß die Führungsaufgabe im Team durch Führungskräfte wahrgenommen. Das wurde von mir unterbrochen, indem ich besonders dominante oder sich hervortuende Mitarbeiter:innen mit einer Augenbinde ausstattete. Dadurch sahen diese sofort vom Führungsanspruch ab. Ich hatte genügend Augenbinden dabei, sodass ich auch Personen, die nicht gerne die Leitung freiwillig übernehmen, in diese Rolle bringen konnte.
Tipp: Mindestens zwei gereinigte Augenbinden pro Teilnehmer:in bereithalten, um sehr flexibel auf die Teamdynamik reagieren zu können. Gebrauchte Augenbinden werden immer sofort in einen Wäschebeutel gesteckt, damit keine bereits gebrauchte Augenbinde weitergegeben werden muss.
Übertragung in die echte Welt
Elemente im Lernprojekt | Elemente in der echten Welt |
---|---|
Lange Schnur | nur mittelbarer Einfluss auf das Projektergebnis |
Schräge Steine | schwierige Arbeitspakete, deren Reihenfolge strittig ist |
Kran darf nur gemeinsam bewegt werden | Projekterfolg ist nur als Teamleistung möglich |
Gemischte Hierarchien | Verantwortung und Vertrauen ist zwischen den Personen nicht geklärt |
Augenbinden | fehlender Überblick bei Detailfragen |
Übernahme der Führung | Verantwortungsübernahme, ohne immer disziplinarische:r oder fachliche:r Vorgesetzte:r zu sein – jede:r kann sich einbringen |
Fehlende Stabilität | Risiken im Projekt |
Das Lernprojekt hat für viel Diskussion um die Reihenfolge der abzuarbeitenden Arbeitspakete gesorgt. Hierdurch wurde klar, dass bei komplexen Projekte gute Absprachen unabdingbar sind – aber auch nicht immer alle Anwesenden der gleichen Meinung sind.
Schlussendlich wurde das Lernprojekt erfolgreich abgeschlossen, was zu einer großen Erleichterung bei den Teilnehmenden geführt hat.
Reflexion
In der gemeinsamen Reflexion wird sehr schnell klar, dass es nicht nur um gruppendynamische Aspekte ging und auch nicht allein um die Reihenfolge der Inhalte. Folgende Erkenntnisse hat das Projektteam für sich erarbeitet:
• Wenn notwendig, können auch Personen die Führung übernehmen, die das eigentlich nicht von sich aus tun.
• Wir müssen genau zuhören und aufeinander hören, um erfolgreich zu sein.
• Wir müssen Verständnisfragen stellen, wenn etwas unklar ist.
• Es gibt einen Unterschied zwischen Dringlichkeit und Wichtigkeit.
• Die Ansichten können je nach Blickwinkel der Teilnehmer variieren.
• Diversität in Ansichten und Vorgehensweisen kann eine große Chance darstellen.
Wir haben diesen zweiten Reflexionsteil dann erweitert und ergänzt, indem wir diese Übung mit der erste Übung gemeinsam betrachtet haben. Folgende Schlussfolgerungen wurden gezogen:
• Wenn ein „normaler“ Kommunikationskanal gestört ist (nicht reden oder sprechen können), dann muss dies kompensiert werden. Dies ist mit Aufwand verbunden.
• Aktives Zuhören beinhaltet Nachfragen; in welcher Position im Unternehmen man arbeitet, ist dabei nicht entscheidend.
• Wir brauchen eine gute Ablage, damit wir auch Informationen finden, die andere schon abgelegt haben.
• Wir haben nicht alle die gleiche Sichtweise auf das Projekt und müssen deshalb die unterschiedlichen Sichtweise verstehen.
• Wir sind nicht alle gleich – aber die Diversität kann uns helfen, wenn wir die Stärken jedes einzelnen Teammitglieds nutzen.
• Jeder kann Verantwortung übernehmen und wird dies nun auch tun (Führen im Kleinen).
Wir haben als Abschluss der beiden Lernprojekte Teamregeln erstellt, wie wir miteinander arbeiten und umgehen wollen. Diese sind als Flipchart sichtbar im Projektraum aufgehängt worden. Alle Teilnehmer:innen des Startworkshops haben diese Teamregeln auf dem Plakat unterschrieben.
Fazit
Der Einsatz der zwei METALOG Tools im Projektstartworkshop hat geholfen, vorab die Folgen gestörter Projektteamkommunikation zu erleben. Diese Schwachstelle bereits zu Beginn eines strategisch wichtigen Projekts in den Fokus zu stellen, hat uns geholfen, sehr offen und sehr freizügig Informationen zu teilen. Bei Konflikten, die sich dennoch nicht vermeiden ließen, konnte aber aufgrund der gemeinsamen Erfahrung im Startworkshop schnell durch Vermittlung eines Dritten eine Lösung herbeigeführt werden. Hierbei half auch immer wieder ein Verweis auf die gemeinsamen Teamregeln für das Projekt.
Die Unterschiedlichkeit der Sichtweisen wurde im Projektverlauf von allen Kernteammitgliedern eingefordert und hat so zu neuen Perspektiven und wirklichen Verbesserungen geführt.
Die Teilnehmenden haben sich immer wieder auf die beiden Lernprojekte bezogen, um ihren Standpunkt zu verdeutlichen. Dies führte zu mehr Akzeptanz im Projektteam, selbst wenn man nicht immer einer Meinung war.