Sabrina Köhler
Übersicht
In meiner 9. Klasse einer Realschule plus gab es immer wieder Motivationsprobleme beim Lernen und es herrschte ein rüder Umgangston. Unterrichtende Kolleg:innen klagten über einen hohen Lautstärkepegel und schlechte Ergebnisse bei den Klassenarbeiten.
Die Klasse hatte noch keine Berührungspunkte mit dem ErfahrungsOrientierten Lernen. Da ich aber seit etwa einem Jahr ihre Klassenleiterin war, hatten wir bereits eine solide Beziehungsebene aufgebaut und die Schüler:innen waren bereit, sich auf das folgende Experiment einzulassen.
Thema
Gemeinsame Ziele und Interessen erkennen sowie Möglichkeiten generieren, sich als Team zu unterstützen, um die eigenen Ziele besser und leichter zu erreichen.
Inszenierung
a. Vorbereitung
Das Flotte Rohr liegt unter einer Decke vorbereitet auf dem Boden in der Mitte eines Sitzkreises. Drei Karteikarten und ein Edding liegen bereit. Die Schüler:innen erhalten je drei Zettel, auf denen die folgenden Fragen stehen, die sie stichpunktartig schriftlich beantworten sollen:
1. Was ist mein Ziel hier in der Schule, was will ich erreichen?
2. Was hindert mich daran?
3. Wenn ich bei der Abschlussfeier mit dem Abschlusszeugnis in der Hand auf der Bühne stehe und zurückblicke: Was muss passiert sein, damit ich sage, es war ein gutes Jahr?
b. Durchführung
Die Schüler:innen beantworten die Fragen und stellen ihre Antworten kurz vor. Schnell wird klar, dass es in erster Linie darum geht, einen möglichst guten Abschluss zu schaffen und sich in der Klasse wohl bzw. sicher zu fühlen. Damit sind gemeinsame Ziele formuliert. Die Schüler:innen haben erkannt, dass sie im Prinzip alle das Gleiche wollen.
Die Schwierigkeiten auf dem Weg zum gemeinsamen Ziel werden gesammelt. Erwartungsgemäß werden am häufigsten der hohe Unruhepegel, Probleme mit dem Lernstoff und ein z. T. unfreundlicher Umgangston genannt.
Die gemeinsamen Ziele „Ich möchte einen guten Abschluss erreichen“ und „Ich möchte mich in der Klasse wohlfühlen“ werden auf zwei große Papierbögen geschrieben und in die Kreismitte gelegt. Mindestens mit einem der beiden Ziele kann sich jede:r Schüler:in identifizieren.
Die Schüler:innen hatten unterschiedliche Probleme bei der Zielerreichung genannt. Die drei am häufigsten genannten (s. o.) werden auf die drei Karteikarten notiert und ebenfalls in die Kreismitte gelegt. Auf jede Problem-Karte wird ein Tennisball gelegt. Dann wird das Tuch vom Flotten Rohr entfernt.
Übertragung in die echte Welt
Elemente im Lernprojekt | Elemente in der echten Welt |
---|---|
Tennisbälle auf den Karteikarten | Probleme in der Klasse; Hindernisse auf dem Weg zum gemeinsamen Ziel |
Flottes Rohr | Hilfsmittel zur Lösung der Probleme; Katalysator für die Stärke der Gruppe |
Schnüre | Verbindungen der einzelnen Schüler:innen untereinander |
„Das Hilfsmittel zur Lösung eurer Probleme liegt hier vor euch.“ Mit diesen Worten werden die Schüler:innen aufgefordert, die Probleme, die ihnen im Schulalltag und auf dem Weg zum guten Abschluss im Weg liegen, in einen Mülleimer zu befördern, der nun ebenfalls in die Mitte gestellt wird.
„Ihr dürft nun gemeinsam eure Probleme beseitigen. Dabei ist wichtig, dass niemand die Bälle mit den Händen anfassen darf. Dieses Werkzeug funktioniert wie ein Katalysator, der die Stärken eurer Gruppe hervorbringt und verstärkt – und nur mit diesem dürfen die Bälle in den Mülleimer befördert werden. Schwierigkeiten in einer Gruppe kann schließlich niemand allein lösen, das hättet ihr sonst schon längst getan: Das geht erfahrungsgemäß nur gemeinsam.“
Reflexion
Nachdem die drei Hauptprobleme der Klasse gemeinsam beseitigt worden sind, werden im Sitzkreis die folgenden Fragen reflektiert:
1. Was hast du erlebt?
2. Was hat geholfen, die Probleme zu beseitigen? Warum hat es funktioniert? Was hat gut geklappt?
3. Was kann noch besser laufen?
Die Schüler:innen äußern sich zu den Reflexionsfragen und die wichtigsten Aussagen werden auf dem Flipchart festgehalten. Zum Schluss wird überlegt, wie die Qualitäten, welche die Klasse im Prozess der Problemlösung gezeigt hat – die also vorhanden sind –, im Unterrichtsalltag umgesetzt werden können, und wie Punkte, die noch nicht gut funktioniert haben, verändert werden können.
Es folgen weitere Klassenratsstunden, in denen mit den Ergebnissen weitergearbeitet wird. Dabei haben die Schüler:innen die Aufgabe, bis zur nächsten Stunde eigene Vorschläge zu entwickeln, wie Lösungsansätze aussehen können. Beispiele einiger Lösungen:
• Lernteams bilden
• Expert:innen benennen, die in den Fächern weiterhelfen, plus Absprachen wie z. B., dass sich jede:r an die Expert:innen wenden darf
• Klassenratsstunde zum Festlegen eines Verhaltens-/Kommunikationskodex
• Lobkultur entwickeln (negative Kommunikation untereinander aufbrechen)
• Konfrontationstechniken einüben, um gewaltfrei zu kommunizieren
Fazit
Den Schüler:innen war vorher nicht so deutlich bewusst, dass sie alle das gleiche Ziel haben und im Prinzip auch unter den gleichen Schwierigkeiten leiden. Außerdem – und das ist das Wichtige – erlebten sie sich als selbstwirksam und als erfolgreich als Gruppe. Das gab die Initialzündung und die Motivation dafür, es miteinander zu versuchen und Schwierigkeiten, die es im Schulalltag gab und die sich natürlich auch im Spiel zeigten, mit Unterstützung anzugehen.