90 Schulen in Niedersachsen motivieren Flüchtlinge mit dem Kompetenzfeststellungsverfahren „komPASS“ der Werkstatt-Schule e.V. auf dem Weg ins Berufsleben.
METALOG: Hallo, Frau Dr. Kaplan – schön, dass wir uns zu einem Interview treffen konnten. Der Verein, in dem Sie tätig sind, ist im höchsten Maße aktiv und kreativ. Was genau ist die Werkstatt-Schule e. V.?
Kaplan: Die Werkstatt-Schule e. V. ist ein seit 35 Jahren in Hannover tätiger selbstverwalteter gemeinnütziger Bildungsträger mit verschiedenen Bereichen, zum Beispiel einem Berufsorientierungszentrum. Hierzu gehört auch die Werkstatt-Schule und hier – das kommt schon im Namen zum Ausdruck – steht das ganzheitliche Tun, die praktische Arbeit oder das herzustellende Produkt im Mittelpunkt des Lernens.
METALOG: Sie haben ein Kompetenzfeststellungsverfahren für jugendliche Geflüchtete namens komPASS entwickelt, in dem auch die METALOG® training tools eine wichtige Rolle spielen. Was zeichnet dieses Verfahren gegenüber anderen aus?
Kaplan: Ich denke, unser Ansatz ist in vielerlei Hinsicht mit anderen Kompetenzfeststellungsverfahren vergleichbar. Der große Unterschied ist, dass wir einerseits Arbeitsaufgaben verwenden, die weitestgehend über Symbole, Bilder oder selbsterklärend verständlich sind. Andererseits ist komPASS lösungs- und prozessorientiert und soll konsequent „erlebte“ Erfolgserlebnisse ermöglichen. Das gelingt besonders gut mit den eingesetzten METALOG® training tools: Es macht den Jugendlichen Spaß, wenn die Aufgabe gemeinsam in der Gruppe gelingt, weil die eigenen Ressourcen dafür aktiviert werden konnten. Das wiederum stärkt die Motivation und das Selbstvertrauen. Damit steigt die Zuversicht, selbst gesteckte Ziele auch erreichen zu können. In der Beratungsphase zum Schluss der Kompetenzfeststellung wird an diese Phase der Ressourcenaktivierung angeknüpft und an das damit verbundene Gefühl der eigenen Stärke. Denn genau um diesen Prozess dreht es sich bei komPASS: um den Aufbau und den Erhalt von Motivation bei der Gestaltung der persönlichen Schritte auf dem Weg zum Lebens- oder Berufsziel. Grundlage ist für uns dabei das lösungsfokussierte Programm von Ben Furman „Ich schaff’s“.
METALOG: Der Beginn der Entwicklung von komPASS lag ja schon deutlich vor der großen Flüchtlingswelle. Haben Sie in Ihrem Verein hellseherische Fähigkeiten? Was war der Beweggrund, komPASS zu entwickeln – ein Verfahren, das weitgehend ohne Sprache auskommt?
Kaplan: Hellseherische Fähigkeiten waren nicht nötig, um den Kompetenzcheck komPASS (Kompetenzcheck und Ausbildungsperspektiven für jugendliche Sprachanfänger) zu entwickeln, denn die Berufsschulen kämpften schon vor der Flüchtlingswelle mit der ständig steigenden Zahl an neu Zugewanderten – nicht nur aus Krisengebieten, sondern auch aus Ländern der EU, die in speziellen BVJ-Klassen für Sprachanfänger untergebracht werden. Wenn die dann zu uns kamen, waren wir mit unserem Deutsch schnell am Ende. Eine Lehrerin sagte uns dazu: „Lassen Sie doch mal einen der Schüler nur eine halbe Stunde mit Ihnen Arabisch oder Farsi reden. Was meinen Sie, wie anstrengend es für Sie ist, etwas nicht zu verstehen und weiter zuhören zu müssen?“ Der zweite Aspekt in der Entwicklung des Kompetenzchecks war, dass diese Jugendlichen erst am Anfang ihrer beruflichen Orientierung stehen. Sie fragen sich: „Wie sieht das Bildungs- und Berufssystem in Deutschland aus? Welche Voraussetzungen brauche ich für welche Berufe?“ Ein Übergang in eine Ausbildung setzt mindestens den Erwerb eines Hauptschulabschlusses und das Erlernen der deutschen Sprache bis zu einem Fortgeschrittenenlevel voraus. Eine Kompetenzfeststellung für Sprachanfänger musste also ganz anders gestaltet werden. Die Jugendlichen sollen hier ihre Stärken, das Gelingende, entdecken, ihre Ressourcen konsequent aktivieren, ihre Zuversicht und ihr Selbstvertrauen stärken sowie selbst gesteckte Ziele entwickeln und erreichen. Dazu muss man bei ihnen Begeisterung wecken. Der Hirnforscher und Neurologe Prof. Gerald Hüther meint dazu, dass man einen Menschen nicht dazu zwingen könne, eine günstige Erfahrung zu machen. Man könne ihn nur einladen, ermutigen oder versuchen, ihn zu inspirieren. Ich denke, dass die ausgewählten METALOG® training tools ein solches Werkzeug dazu sind, da sie – mit Bildern angeleitet – eine solche Ermutigung ermöglichen.
METALOG: Wie kommen die Jugendlichen an ein objektives Feedback zu ihrem Verhalten und ihren Kompetenzen, wenn sie die Sprache nicht sprechen und verstehen?
Kaplan: Die meisten Jugendlichen können bereits ein wenig Deutsch. Wir sind immer wieder erstaunt, wie schnell sie lernen. Sie erhalten zum Abschlussgespräch ein komPASS-Logbuch. Das enthält unter anderem ihr Profil mit ihren bei komPASS gezeigten Fähigkeiten, die als Symbole ausgedrückt sind, außerdem ein „Bergbild“. Da hinein tragen sie später ihr wichtigstes Ziel, das Symbol dafür nebst Motto, Helfern und ihren Interessen und Ressourcen. Zuvor haben sie eine Bilder-Collage als Zukunftsvision erstellt, die darstellt, wo sie sich in naher Zukunft sehen. Daraus definieren sie ihre (Berufs-)Ziele. Dann wählen sie ihr wichtigstes Ziel aus, suchen sich aus einer Fotokartei ein Symbol für ihr Ziel und ein Motto. Danach schauen wir, was sie für ihren Weg brauchen und bereits im Gepäck mitbringen: Die bei komPASS gezeigten Fähigkeiten und Interessen kommen als Symbole dazu. Wichtig ist, dass die Schulen an der Zielerreichung weiterarbei-ten. Material dafür wird den Betreuern mitgegeben. Persönliche Ziele sind Motivatoren. Ohne Ziele gibt es keine Motivation. Die Ziele müssen attraktiv, groß genug und erreichbar sein, damit es sich lohnt, sich anzustrengen. Wir halten dazu an, sich ein Bild zu machen, durch das das Erreichen des Zieles deutlich wird. Bilder werden in unserem Unterbewusstsein gespeichert und beeinflussen unser Verhalten, auch wenn wir es gar nicht bemerken. Sie stimulieren aus dem Unbewussten heraus, wie man ja aus dem Zürcher Ressourcen-Modell von Maja Storch weiß.
METALOG: Sie wenden SysTeam, Leonardo’s Bridge, Stack-Man und Tower of Power an. Welche Kompetenzen werden bei den Tools gut sichtbar?
Kaplan: Wir verwenden beim fünftägigen Verfahren sogar noch mehr METALOG® training tools: den Fliegenden Teppich, die Pipeline, Zauberstab und DominoEffect, um die Teilnehmer jeweils einzustimmen oder den Abschluss des Tages zu gestalten. Der TeamNavigator ist im Einsatz, um die Woche und was auf die Teilnehmer zukommt bildhaft darzustellen. Die Kompetenz „Vorstellungsvermögen“ ist zum Beispiel sehr gut bei StackMan, Leonardo’s Bridge und beim Bau der Kugelbahn zu beobachten. Die Brücke zu konstruieren oder StackMan zusammenzusetzen, erfordert darüber hinaus weitere kognitive Fähigkeiten wie Konzentrationsfähigkeit, Lernen/Merken, Problemlösefähigkeit. Bei der Arbeitsdurchführung beobachten wir bei allen Tools den Antrieb und auch die Ausdauer und das Verantwortungsbewusstsein. Speziell bei Leonardo’s Bridge und StackMan kommt die Frustrationstoleranz dazu. Und selbstverständlich bieten sich alle Tools an, soziale Merkmale wie Durchsetzungsfähigkeit, Kontaktfähigkeit und Teamarbeit zu beobachten. Eine Sonderrolle nimmt bei uns das SysTeam ein. Wir verwenden es als Teil der praktischen Arbeitsprobe aus der Pflege, weil man hiermit sehr gut das Thema „Vertrauen geben“ simulieren kann. Verantwortungsbewusstsein ist an diesem Tool gut zu beobachten.
METALOG: Inzwischen wurde komPASS an über 90 Schulen in Niedersachsen ausgerollt und auch Nordrhein-Westfalen steigt gerade in eine große Testphase ein. Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?
Kaplan: Nun, ich habe gehört, dass unser Verfahren nicht nur wegen der bildhaften Gestaltung gefallen hat, sondern auch wegen des Ansatzes, die Teilnehmenden vor allem zu motivieren. Und wegen der Prozessorientierung: sich berufliche Ziele zu setzen und sie dann stufenweise auch zu erreichen.
METALOG: Was für Ziele haben Sie sich für die Zukunft noch gesetzt?
Kaplan: Wir möchten komPASS, das noch in der Projektphase ist, gerne verstetigen. Das bedeutet, es in der nächsten Zeit für die unterschiedlichsten Zielgruppen, z. B. erwachsene Sprachanfänger, anzupassen. Wir haben noch eine Menge Ideen – auch für den Einsatz der METALOG® training tools.
Daniel Stanislaus führte das Gespräch mit Frau Dr. Susanne Kaplan vom Werkstatt-Schule e.V.