Elke Müller & Annette Schilling
Die Regeln sind überschaubar, das Tool (Würfel, Becher + Holzchips) einfach einzusetzen und für jeden Teilnehmer gut zu beherrschen. So ist die erste Runde kinderleicht, liefert Spaß und Energie (bei manchen Teilnehmern auch Ratlosigkeit, weil es doch so einfach ist) – aber dann! Nach dem ersten Gruppenwechsel kommen Emotionen auf: Verwirrung, Irritation, Triumph, Verunsicherung, Verachtung, Verzweiflung, Über- und Unterlegenheit, Ratlosigkeit … und das alles, ohne sprechen zu dürfen!
So wird CultuRallye zur gefühlten Version des Eisbergmodells: Eben waren alle Regeln klar ersichtlich und auf einmal scheinen sie für einige nicht mehr zu gelten. Mit einem Ruck sind die Teil-nehmer aus ihrer Komfort- und Selbstsicherheitszone gerissen und erleben einen Kulturschock am eigenen Leib.
Aufgabenstellung: Wie gelingt die Zusammenarbeit einer internationalen Projektgruppe?
Es ist immer wieder eine Herausforderung, Teilnehmer aus ihrer Komfortzone – „Bei uns ist alles halb so schlimm“ – herauszuholen, schnell an den Schmerzpunkt zu führen und Problembe-wusstsein zu schaffen. In diesem Fall handelt es sich um exzellent ausgebildete Fachleute im IT-Umfeld, die Teammitglieder weltweit „verstreut“, Kontakt überwiegend per Intranet-Plattform, E-Mail, Video- und Telefonkonferenz. Das gemeinsame Projekt gefährdet, weil Terminvorgaben nicht eingehalten wurden. „Wir arbeiten doch alle beim selben Unternehmen – da sind die Unterschiede nicht so groß“, „Wir können alle gut Englisch – wo ist da das Problem?“ und ähnliche Aussagen bestimmten die Situationsanalyse. Bei einem Krisenmeeting kam CultuRallye zum Einsatz und bereits bei der lebhaften Durchführung war es herausfordernd, die Regel – „keine verbale Kommunikation!“ – einzuhalten … Eigentlich hätte sie erweitert werden müssen um die Regel „keine Handgreiflichkeiten“. In der zweiten Stufe der Auswertung („Welche Parallelen sehen Sie zwischen dem Verlauf von CultuRallye und Ihrer Projektarbeit?“) waren die in der bisherigen Projektarbeit geleisteten Fehlgriffe, Misskommunikationen und empfundenen Angriffe nun sehr schnell und offen ausgesprochen. Nach einer längeren Kaffeepause mit dem Auftrag, die Gemüter zu beruhigen und schon erste Vorschläge zu sammeln, wie es zukünftig anders laufen kann, wird in der verbleibenden Zeit des Krisenmeetings ein zukunftsorientierter Lösungsansatz und Verbindlichkeit von allen Teilnehmern erzielt.
Aufgabenstellung: Wie kann die internationale Zusammenarbeit einer deutschen Abteilung verbessert werden?
Ein deutsches Team eines internationalen Konzerns, das für die Verwaltung und Betreuung der weltweiten Immobilien zuständig ist, soll ein zweitägiges interkulturelles Training erhalten. Die Teilnehmer haben Kontakt zu Kollegen aus den unterschiedlichsten Ländern, von Europa über die USA bis nach Asien. Dieser Kontakt ist in den seltensten Fällen ein persönlicher, sondern überwiegend per E-Mail und Telefon, in Ausnahmenfällen per Video-Konferenz. Bisher werden die ausländischen Kollegen als „umständlich“ wahrgenommen, es gibt Aussagen wie „Die machen das falsch“ oder „Die müssen doch auch wie wir …“. Ziel des Trainings soll sein, „fremde“ Handlungsweisen zu erkennen, für diese zu sensibilisieren und Lösungsansätze für eine konstruktive Zusammenarbeit zu erarbeiten.
Als Trainer stellt man sich hier eine zentrale Frage: Wie gelingt es, die Erfahrung von fremden Kulturen in einen rein deutschen Seminarraum bekommen? Wie können die Teilnehmer unterschiedliches kulturelles Verhalten erleben? Unsere Wahl fiel auch hier auf CultuRallye.
Mit jedem Tischwechsel, der ja eigentlich ein Perspektivenwechsel ist, wird klarer, dass es zwischen „richtig“ und „falsch“ eben auch ein „anders“ gibt. Im Anschluss wird dann erarbeitet, was das deutsche Team zu einer Verbesserung der Zusammenarbeit beitragen kann. Außerdem wird vereinbart, dass es zur „neuen Kultur“ gehört, nachzufragen, falls etwas unklar ist.
Tipps aus der Praxis.
Beim praktischen Einsatz hat es sich bewährt, mit gut sichtbaren Tischnummern zu arbeiten. Das erleichtert nach jeder Runde den Wechsel der Tischgruppen. Der Gewinner wechselt zur nächst-höheren Tischnummer. Auch farbliche Kennzeichnung ist sehr hilfreich. Wir unterstützen einen reibungslosen Wechselvorgang außerdem dadurch, dass wir zunächst die Gewinner aufstehen las-sen, im nächsten Schritt wechseln sie die Tischgruppe, erst danach stehen die Verlierer auf und wechseln „in die andere Richtung“. Dieses Vorgehen beschleunigt den Wechselvorgang und hält die Möglichkeit zum von uns nicht gewünschten Austausch von Informationen sehr gering, da weniger „Chaos“ im Raum herrscht. Für kleinere Gruppen bietet es sich an, nur die Gewinner wechseln zu lassen – der Effekt wird dadurch nicht geschmälert. Bei sehr großen Gruppen empfehlen wir ein gut hörbares Hilfsmittel, um für Ruhe zu sorgen: Gong, Glocke oder Trillerpfeife – das hängt natürlich von der Seminarumgebung ab. Mit Stehtischen haben wir gute Erfahrungen gemacht, wenn der Platz beschränkt ist.
Über die Autorinnen.
Elke Müller: Die studierte Betriebswirtin, erfahrene Trainerin und systemischer Coach ist geschäftsführende Gesellschafterin von compass international gmbh – ein Unternehmen, das Dienstlei-stungen rund um interkulturelle Fortbildungen, Entsendungsberatungen und Relocation bietet.
Annette Schilling: In Bürogemeinschaft mit compass leitet die Betriebswirtin die Geschicke von AS Kommunikations- und Karriereberatung. Sie trainiert, berät und coacht (werdende) Führungskräfte in allen personalrelevanten und Kommunikationsthemen. Zusammen liefern beide Unternehmen weit über 300 Trainings-tage pro Jahr – für mittelständische Unternehmen bis hin zu weltweiten Konzernen.
Ihr gemeinsames Internet-Lernprojekt „contact2culture.de“ wurde in die IT-Bestenliste 2011 der Initiative Mittelstand aufgenommen.