Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit – Warum wir uns als Polizei diesem Thema ganz besonders intensiv widmen

CultuRallye

Ralph Huppertsberg

 

Übersicht
Der öffentliche Diskurs über mögliche rassistische Tendenzen im Handeln unserer Polizeibeamt:innen in Thüringen und in Deutschland insgesamt enthält nicht selten pauschale Vorurteile, Vorwürfe und Unterstellungen. Nicht erst seit der Black-Lives-Matter-Bewegung, die ihren Ursprung in den USA hatte, schaut die Öffentlichkeit sehr genau auf das Tun und Handeln der Kolleginnen und Kollegen auch hier bei uns. Zu Recht, schließlich treten wir Polizisten als Garanten für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ein und unsere wichtigste Aufgabe ist der Schutz des Grundgesetzes und der Menschenrechte.
Wir stellen sehr hohe Ansprüche an uns selbst und an die eigene innere Haltung. Insbesondere als Verhaltenstrainer, aber auch als Polizist mit zehn Jahren Berufserfahrung im Wach- und Wechseldienst weiß ich allerdings nur allzu gut, dass hinter jeder Uniform auch immer ein Mensch steckt: Ein Mensch, der den gleichen Sozialisierungsprozessen unterliegt, wie jede:r andere auch.
Da wir als Polizist:innen in unserer täglichen Arbeit mit den schlimmsten menschlichen Abgründen und den schlimmsten Aspekten der Kriminalität konfrontiert werden, ist es umso wichtiger, dass wir selbst das Richtige tun. Hierzu bedarf es intensiver Trainings und Reflexion des eigenen Handelns, um eine auf den Werten unserer Demokratie basierende innere Haltung zu bewahren.

 

Thema: Interkulturalität – erfahrungsorientiertes Lernen
Unsere jungen Polizeianwärter:innen werden intensiv in Trainings zu sozialen Kompetenzen geschult. Dieses Training besteht aus zehn Tagen, die sich über die gesamte Ausbildungszeit verteilen. Das oberste Ziel ist hierbei die Herausbildung einer grundrechtsfesten Handlungskompetenz. Hierzu ist es unumgänglich, günstige, aber auch ungünstige Verhaltensmuster aufzuzeigen und durch erfahrbare Lernprojekte die richtige Haltung bei den jungen Menschen zu fördern.
Für das Thema Interkulturelle Kompetenz werden in den Trainings sehr erfolgreich zwei Tools von METALOG für die Soft Skills Toleranz, Offenheit und innere Haltung genutzt. Dem im Folgenden beschriebenen Training geht die Ausbildungseinheit „Vorurteile aus psychologischer Sicht“ voraus. Über den Einsatz der ScenarioCards zu Beginn des Folgetrainings reflektieren wir zunächst noch mal die vorangegangene Einheit und knüpfen an den vorhergehenden Kontext an.

 

Inszenierung: vorhandenes Wissen nutzen (ScenarioCards 2, Stereotypes & Diversity)
a. Vorbereitung
Die ScenarioCards 2 werden in der Raummitte auf einem Tisch verteilt. Die Teilnehmenden sitzen im Stuhlkreis.

 

b. Durchführung
Die angehenden Polizist:innen werden auf das Thema „Interkulturelle Kompetenz“ durch folgende Reflexionsfrage eingestimmt: „Warum, glauben Sie, ist Vielfalt ein Schlüssel, um gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit präventiv entgegenzuwirken? Bitte schauen Sie sich zu dieser Fragestellung die ausliegenden Karten an und wählen Sie eine für sich aus.“ Dabei wird ein systemischer und ressourcenorientierter Ansatz verfolgt, der davon ausgeht, dass die Gruppe selbst über alles notwendige Wissen verfügt. Nach einer kurzen Vorbereitungsphase soll jede:r Teilnehmende die Gedanken und Eindrücke zu dem eigenen Bild der Gruppe erläutern. Hierbei hat der:die Trainer:in eine beobachtende Rolle.

 

Reflexion
Die jungen Polizist:innen reflektieren ihre persönlichen Erfahrungen zum Thema Interkulturalität sehr offen und vielfältig. Durch die unterschiedlichen Erfahrungen der Einzelnen wird zudem ein breiter Gedanken- und Wissensaustausch gefördert. Die Teilnehmer:innen erhalten so zum Thema Interkulturalität eine eigene Stimme und eine vielfältige Sicht durch die Beiträge aller.

 

Fazit
Das Tool ScenarioCards 2 eignet sich ganz hervorragend als Gesprächs-Opener zu Beginn eines neuen Trainingstages. Die kreative Vielfältigkeit der Bilder gibt jeder:jedem Teilnehmenden die Möglichkeit, eigene Erfahrungen leicht zu reflektieren. Der gewonnene Mehrwert für die Gruppe ist beachtlich.
Im Verlauf der Ausbildung beschäftigen sich die Teilnehmer:innen intensiv mit kognitiven Aspekten wie landesspezifischem Wissen, Wissen um Migrations- und Integrationsprozesse, kulturspezifischem Wissen und weiteren Themen. Dieses Wissen allein ist jedoch nur eine von drei Säulen, die ein ganzheitliches Verständnis des Themas Interkulturalität ausmachen. Deshalb legen wir in den Trainings besonders großen Wert auf die Förderung von affektiven Prozessen: Fähigkeiten wie Wertschätzung, Perspektivwechsel, Sensibilität und Empathie werden gezielt durch erfahrungsorientierte Lernprojekte unterstützt.
Hierzu führe ich zunächst die praktische Übung „Blue Eyes/Brown Eyes“ nach Jane Elliott und anschließend das Lernprojekt CultuRallye durch, das im Folgenden beschrieben wird.

 

Inszenierung Interkulturelle Kompetenz (CultuRallye)
a. Vorbereitung
Je nach Gruppengröße werden mehrere „Spieltische“ im Raum verteilt. Erfahrungsgemäß sind vier bis fünf „Spieler:innen“ pro Tisch ideal. Anschließend platziert man die Spielregeln verdeckt auf den Tischen. Die Teilnehmenden bekommen eine vorgegebene Anzahl an Spielchips.

 

b. Durchführung
Nach einer etwa zehnminütigen Testphase, in der die Spieler:innen die Regeln erlernen, startet die erste Phase des Spiels. Nach gut fünf Minuten muss der:die Spieler:in den Tisch wechseln, welche:r die wenigsten Chips hat. Hintergrund für diese Variante ist der Alltagsbezug: Flüchtlinge sind in ihrem System selten die Gewinner. Oftmals suchen sie in einer neuen Gesellschaft ihr Glück, weil sie sich als Verlierer:innen ihres alten Systems sehen.
Mit dem Wechsel darf an den Tischen nicht mehr kommuniziert werden. Sollte ein:e Spieler:in keine Chips mehr zur Verfügung haben, bekommt er:sie einmalig eine geringe Anzahl an Chips, ähnlich einer staatlichen Zuwendung.

 

Übertragung in die echte Welt (CultuRallye)

Elemente im LernprojektElemente in der echten Welt
WürfelBedeutung von Regeln in einer Gesellschaft; Symbol für die
Unvorhersehbarkeiten des Lebens, Irrtum und Fehler; aber auch Bedeutung der gemeinsamen Sprache
Tischeunterschiedliche Gesellschaften und Systeme, mit ähnlichen und dennoch unterschiedlichen Regeln, Normen und Werten
ChipsWohlstand vs. Armut
SpielregelnGesetze/Regeln der jeweiligen Gesellschaft
Teilnehmer:innenSpiegelbild der Gesellschaft

 

Reflexion
CultuRallye hat eine sehr spielerische Komponente, die in kürzester Zeit eine enorme Sogwirkung erzielt. Hierdurch vergessen die Teilnehmenden sehr schnell den eigentlichen Kontext des Trainings und zeigen häufig sehr authentisches Verhalten. An den einzelnen Tischen zeigen sich sehr schnell alle denkbaren menschlichen Verhaltensweisen: von Verständnis und Unterstützung bis hin zu schamlosem Ausnutzen und verweigerter Hilfe.
Frustration und Glück liegen häufig sehr nah beieinander. Die Teilnehmenden erfahren einen spürbaren Perspektivwechsel und verstehen häufig binnen weniger Minuten, wie es sich anfühlt, wenn man als Hilfesuchende:r in ein neues System kommt und man statt Offenheit und Unterstützung nur Ablehnung erfährt.
Diese Erkenntnisse arbeite ich mit folgenden Fragen gemeinsam mit den Teilnehmer:innen deutlich heraus:
• Wie fühlen Sie sich jetzt gerade?
• Hatten Sie bei Ihren Handlungen selbst die Wahl oder hat Ihnen die Situation Ihr Verhalten vorgegeben?
• Wie sehen solche Situationen in Ihrem persönlichen Alltag oder auch in Ihrem Alltag als Polizist:innen aus?

 

Fazit
Wir setzen dieses auf eigenen Erfahrungen basierte Lernen mit sehr großem Erfolg beim Thema Interkulturelle Kompetenz ein. Der erzielte Perspektivwechsel, die über verschiedene Sinne gewonnenen Erkenntnisse und die anschließende Übertragung auf die echte Welt ermöglichen den Teilnehmenden einen enormen Erfahrungsschatz, der persönliche Verhaltensweisen nachhaltig günstig beeinflusst.