Rainer Stens
Überblick
Ich sollte die Einsatzleitung eines Krankenhauses zur Evaluierung und Optimierung der hausspezifischen Alarmplanung beraten. Mit dem Begriff „Krankenhausalarmplanung“ bezeichnet man die Vorbereitung auf interne und externe Schadenslagen, die ein Krankenhaus in seiner Struktur oder seinen Abläufen beeinflussen.
Hierzu bestanden bereits Konzepte mit Checklisten für jede mögliche Gefahrenlage. Diese Checklisten und Konzepte waren ursprünglich in Anlehnung an einen Standard des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe formuliert worden.
Mittlerweile war man jedoch zur Erkenntnis gelangt, dass ein mehrere Aktenordner umfassendes Planwerk im Katastrophenfall nicht ideal ist: Bislang war es üblich, im Ernstfall zunächst allen Schlüsselfiguren „ihre Checkliste passend zur Rolle“ auszuhändigen. Aufgrund der gebotenen Eile in einer nicht alltäglichen Notfallsituation ist dieses Vorgehen jedoch nicht vorteilhaft, weil durch Suchen, Finden, Sortieren, Ausgeben, Lesen und Verstehen zu viel wertvolle Zeit verstreicht.
Daher greift man heute zum sog. konsequenzbasierten Modell: Danach wird nicht mehr jede Schadensmöglichkeit individuell vorbereitet. Stattdessen wird die Vielzahl an möglichen Ereignissen auf nur zwei Konsequenzen für das Krankenhaus reduziert: eine Störung der Funktionalität des Krankenhauses und eine Überschreitung der Behandlungskapazität. Beide Konsequenzen beeinflussen sich gegenseitig und stehen zueinander in einer wechselseitigen und abhängigen Beziehung. Das konsequenzbasierte Modell der Krankenhausalarmplanung legt den Fokus darauf, Funktionalität zu erhalten bzw. wieder herzustellen und die Kapazität möglichst rasch wieder an den geforderten Bedarf anzupassen.
Thema
Die Mitglieder der Einsatzleitung hatten zuvor in einem Planspiel einen fiktiven Einsatz bearbeitet, bei dem ein Amokfahrer viele Menschen verletzte. Durch die räumliche Nähe zum Tatort und durch den Ereigniszeitpunkt (Freitagabend) war eine entsprechende Reaktion aus einem sog. Randzeitenbetrieb des Krankenhauses notwendig, um sich selbst einweisende Betroffene und mit dem Rettungsdienst in die Klinik verbrachte Patienten zügig zu versorgen. Hierzu wurden die entsprechenden Checklisten des Krankenhausalarmplans hervorgeholt und wie oben beschrieben in den Einsatz gebracht.
In der systematischen Auswertung der ersten 45 Einsatzminuten zeigten sich deutliche Schwachstellen. Besonders aufgrund der nicht zu administrierenden Informationen und Handlungsanweisungen der Checklisten bei gleichzeitig schnell ansteigendem Patientenaufkommen entstand ein kritischer Zeitverzug. Die standardisierte Herangehensweise wurde von den Beteiligten zwar als Mittel der Wahl, aber als zugleich strukturell und situativ ungeeignet beschrieben.
Der Auftrag der Beratung lag also in der Vorstellung und begleitenden Umsetzung der Anpassungen des Krankenhausalarmplans hin zu einem konsequenzbasierten Vorgehen. Dafür bediente ich mich einer erlebnis- und erfahrungsfokussierte Lernmetapher mit dem Tool Team².
Inszenierung
a. Vorbereitung
Das Team² wird auf einem großen Tisch entsprechend der Anleitung so vorbereitet, dass jede:r Teilnehmende vor einem abgetrennten Feld sitzt und in der Mitte eine gemeinsame Fläche von ca. 50 x 70 cm bleibt. Dies funktioniert gut mit 2 cm breitem Kreppklebeband. Die Anzahl der Teilnehmenden soll gleich der Felder sein, die sich kreisförmig um die markierte Tischmitte formieren. Bei kleinen Gruppen (unter zehn Teilnehmer:innen) können auch mehrere Quadrate pro Person eingesetzt werden.
Die Zahl der verwendeten Quadrate sollte der Personenanzahl entsprechen. In jedes abgetrennte Feld werden ein bis zwei nicht zueinander passende Teile des Team² gelegt, der Rest der Teile findet in der markierten Tischmitte seinen Platz.
b. Durchführung
„Wir schauen vor der nächsten Übung noch einmal auf die Flipcharts der Auswertung. Ihre im Rahmen der Übung angewendete Strategie auf Basis Ihres bestehenden Krankenhausalarmplans weist eine hohe Detailschärfe auf. Viele Checklisten und Formulare sind für jeweils unterschiedliche Ereignisse vorbereitet und liegen in mehreren Aktenordnern und als laminierte Karten in Ihrer KEL-Box vor.
Sie haben selbst miterleben können, dass Ihr Krankenhausalarmplan besonders in den ersten entscheidenden 30 Minuten durch den Umfang der Checklisten und des Gesamtplans sehr schwerfällig in die Umsetzung gebracht werden konnte. Das lag vor allem daran, dass eine Orientierung in diesem detailscharfen Werk aus mehreren Aktenordnern und Checklisten bei gleichzeitig fehlender Routine und unter dem Stress der Ausnahmesituation nur schwer möglich war.
Sie haben selbst festgestellt, dass im Gegenteil
• eine schnelle Erfassung der Lage,
• eine dynamische Anweisungen zur Strategie,
• individuell umsetzbare Maßnahmen je nach Schadensfall,
• kurzfristig messbare Erfolge und Zwischenziele,
• einfach umzusetzende Erstmaßnahmen
notwendig sind.
Wie Sie wissen, besteht Ihr Klinikbetrieb aus vielen kleinen Zahnrädern, die im Bedarfsfall sauber ineinandergreifen müssen. Insbesondere unter Stress oder in Ausnahmesituationen ist dies eine an Sie als KEL adressierte Herausforderung. In der folgenden Übungssequenz möchte ich Sie einladen, die Erfahrungen aus der vorangegangenen Übung mitzunehmen und neu zu denken.
Vor Ihnen sehen Sie auf einem Tisch eine Art Raster. In der Mitte gibt es den sog. Pool. Darum gruppieren sich Ihre jeweiligen Arbeitsfelder. In den Arbeitsfeldern und dem Pool sehen Sie unterschiedlich große Kunststoffteile. Nehmen Sie bitte jeweils vor einem Feld Platz und schauen Sie dann bitte zu mir herüber.
Ich habe Ihnen die Regeln und das Ziel für diese Übung auf diesem Flipchart zusammengestellt und bitte Sie, diese zu befolgen:
• Es darf nicht gesprochen werden
• Jede:r Akteur:in darf nur in dem eigenen Feld am eigenen Quadrat bauen
• Jede:r kann Teile aus der Mitte nehmen und dorthin zurücklegen
• Es ist erlaubt, anderen Teile zu geben, aber es ist verboten, sich selbst Teile zu nehmen
• Die Übung ist erst zu Ende, wenn jede:r im eigenen Feld ein gleich großes Quadrat vor sich liegen hat.
• Ziel ist, dass die Quadrate aller Akteur:innen am Ende gleich groß sein sollen. Dabei hat jede:r ein Quadrat vor sich liegen.“
c. Verlauf
Die Gruppe erlebte zunächst eine Rückbesinnung auf die Performance als Gruppe aus der vorangegangenen Übung und schaffte in kurzer Zeit, vier von sieben Quadraten vor sich zu platzieren. Die Teilnehmer:innen mit einem fertigen Quadrat lehnten sich zurück und beobachteten ihre Kolleg:innen, die noch nicht fertig waren. Nach etwa sechs Minuten begann einer der bereits fertigen ärztlichen Kollegen dirigierend einzuwirken und gab gestikulierende Anweisungen. Diese führten jedoch auch nicht zum Erfolg.
Es machte sich unter den noch nicht fertigen Teilnehmer:innen eine aufkommende Frustration breit, die ich aufgriff und kommentierte: „Ich biete Ihnen eine Hilfestellung an. Sie sehen es gibt einen augenfällig einfachen Weg, der bei einigen von Ihnen schon zum Erfolg geführt hat. Aber ist dieser Weg der richtige?“
Die Gruppe versuchte, zu sprechen, erhielt jedoch von mir die Erinnerung an das Flipchart mit den Regeln, das seitlich stand. So kam die Gruppe in einen nonverbalen Austausch, der letztlich zu Fortschritten führte. Es wurden dann mehrere Quadrate im Pool in der Tischmitte gebildet. Erst als einer der Teilnehmer aus der Haustechnik-Abteilung der Klinik das letzte fehlende und einzig
Übertragung in die echte Welt
Elemente im Lernprojekt | Elemente in der echten Welt |
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Teiles des Team2 | einzelne Elemente und Bausteine des Krankenhausalarmplans, Checklisten und ereignisbezogene Handlungsanweisungen |
Pool (Tischmitte) | etablierte wiederkehrende Führungsbesprechungen mit den relevanten Schnittstellen, Follow-up-Führungsprozesse |
Eigener Arbeitsbereich (abgetrennte Fläche zum Bau des eigenen Quadrats) | eigenes Handlungsfeld, in dem Entscheidungen im eigenen Kompetenzrahmen getroffen werden müssen und Meldungen an Schnittstellen gegeben werden müssen |
Flipchart mit Regeln und Zielen | rechtlicher und normativer Rahmen zur Aufrechterhaltung des Klinikbetriebs im Sinne der staatlichen Daseinsfürsorge in Ausnahmeereignissen; Garantenstellung; Ziel: Kernprozess der Patientenversorgung |
Zusammengefügte Quadrate | erfolgreiche Anwendung des Krankenhausalarmplans; Beherrschung der Lage: „vor die Lage kommen“ |
1. Phase: Jede:r sucht und tauscht Teile für sich | unklare Aufgabenumsetzung, Aufgabenwahrnehmung, Schnittstellenkommunikation |
2. Phase: Einzelne Teilnehmende sind schon fertig, anderen fehlen Teile; unlösbare Situationen | die Klinikeinsatzleitung erhält in ihrem Raum keine Rückmeldungen aus den relevanten Bereichen |
3. Phase: Teilnehmende entdecken, dass Teile in scheinbar fertigen Quadraten für die Fertigstellung ihrer Quadrate benötigt werden | Ressourcenmangel im Rahmen der Frühphase; sog. Chaosphase und folgender Strukturierungsphase bei einem außergewöhnlichen Schadens- ereignis |
4. Phase: Teilnehmende entdecken, dass bereits fertige Quadrate wieder aufgelöst werden und der Gruppe zur Verfügung gestellt werden müssen, um die Lösung gemeinsam zu etablieren. Rückschritte sind nötig, um voran zu kommen. | Anpassung des situativen Vorgehens; Verschiebung von Ressourcen und Perspektivwechsel durch Wahrnehmungsänderung oder die „Führung von vorn“ statt in einem abgeschlossenen Raum mit technischen Kommunikationsschnittstellen nach außen |
passende Teil in einem bereits fertigen Quadrat vor einer ärztlichen Kollegin entdeckte und darauf zeigte, leitete die Gruppe die notwendige Änderung der Strategie ein. Diese führte nach etwa 15 Minuten Puzzeln zum Gesamterfolg.
Reflexion
Die primäre Frage nach jeder Übungssequenz lautet: Was haben Sie erlebt? Den Ausführungen der Teilnehmer:innen folgend biete ich eine Pause an. Danach arbeite ich die Bezüge zwischen der Übungssituation mit dem Team² und der Performance aus der vorangegangenen kontextuellen Übung heraus.
Ich erfrage z. B. mithilfe der Moderationsbälle, welche Faktoren zum Erfolg geführt haben und ob die Erfolgsfaktoren aus der vorangegangenen kontextuellen Übung mitgenommen werden konnten.
Als Ergebnis stelle ich dar: „Die Übung mit dem Team² ist für uns eine Metapher für die Problematik des detailreichen Krankenhausalarmplans und die dadurch bedingten Probleme, die wir in der vorangegangenen Übung erlebt haben. In der Situation mit dem Team² haben Sie erlebt und bewiesen, dass es manchmal besser ist, ein paar Schritte zurückzugehen. Vielleicht auch einen anderen Blickwinkel einzunehmen oder zunächst Erkenntnisse im Team zu teilen, bevor darauf basierende Handlungen in die Umsetzung gebracht werden.
Schauen Sie nun bitte gedanklich auf Ihren Krankenhausalarmplan. Dieser ist, wie Sie richtig erkannt haben, sehr detailreich. Deshalb ist es schwierig, ihn unter Zeitdruck in eine geeignete Umsetzung zu bringen.
Wir versuchen also nun bitte gedanklich, ein paar Schritte zurückzugehen. Wir suchen nach den kleinsten gemeinsamen Nennern, die Ausnahmesituationen und Krisen in Ihrer Einrichtung zur Folge haben. Alle Schadensereignisse lassen sich auf zwei Konsequenzen für Ihr Haus reduzieren:
Entweder es kommen mehr Patienten und damit Anforderungen auf Sie zu, als Sie gleichzeitig verarbeiten können. Oder Sie sind durch verschiedene störende Einflüsse gezwungen, die Einrichtung teilweise oder vollständig zu räumen.
Nun bitte ich Sie als Entscheider in der KEL zu überlegen, wie die vorliegenden Pläne so angepasst werden können, dass diese gemäß den erarbeiteten Kriterien besser genutzt werden können.“
Fazit
Ein Fazit zur Beratung ziehe ich anhand eines sog. chronologischen Feedbacks bzw. anhand von vier Fragen. Damit moderiere ich in der Regel die Erlebnisse und auch die Ergebnissicherung aus den Übungssequenzen:
• Was lief gut?
• Was können wir verbessern?
• Was fehlt uns, um noch besser zu sein?
• Was würden wir beim nächsten Mal erneut so machen, weil es funktionierte bzw. ein Erfolgsfaktor war?
Dabei ist es wichtig, die Reihenfolge dieser Fragestellungen einzuhalten, denn sie sind allesamt positivierend formuliert. Darüber hinaus beginnen sie mit einer Bestärkung der guten Leistung und fördern die Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion.
Zuletzt schließt eine Ermittlung von Potenzialen und Bedarfen an und beendet das Fazit mit einer Fokussierung auf die Stärken der Teilnehmer:innen, die als letzter Eindruck verbleiben.