Kommunikationsbedürfnisse über den Wolken – Wie Cockpit und Cabin-Crew eine gemeinsame Sprache sprechen

Tower of Power

Michael Kobbeloer

 

Überblick
Im Rahmen einer internen zweitägigen Train-the-Trainer-Schulung für eine Fluggesellschaft ging es um die Kommunikation zwischen Cockpit und Cabin-Crew. Da alle internen Trainer:innen zugleich immer auch Pilot:innen und Flugbegleiter:innen sind, war es das Ziel, den Umgang mit den METALOG® trainings tools selbst zu erfahren, um diese dann später in einem didaktisch sinnvollen Rahmen und mit einer maßgeschneiderten Isomorphie in den eigenen Trainingsmaßnahmen einsetzen zu können.

 

Thema
Notwendige Kommunikationsbedürfnisse und -kompetenzen erkennen und optimieren.

 

Inszenierung
a. Vorbereitung
Ich bereite den Tower of Power Spezial in der Mittagspause so vor, dass keine Teilnehmer:innen sich während des Aufbaus im Raum befinden. Ich stelle sechs (der acht möglichen) Klötze mit etwas Abstand auf dem Boden auf. Über die Klötze breite ich ein schwarzes Tuch, sodass sie niemand sehen kann, aus. Den Kran mit den Schnüren lege ich oben auf das Tuch und ziehe die Schnüre so weit auseinander, dass sie gut zu greifen sind. Ich möchte, dass die Teilnehmer:innen zwar das „Werkzeug“ (den Kran mit den Schnüren) sehen können, nicht aber die Klötze.

 

b. Durchführung
„Manchmal macht es als fliegendes Personal Sinn, auch mal auf dem Boden der Tatsachen zu bleiben …“, so beginne ich die Inszenierung des Tower of Power Spezial. „Eure Aufgabe ist es, aus Klötzen, die unter diesem Tuch liegen, einen möglichst hohen und sicheren Turm zu bauen – euren Turm des Erfolgs. Das Werkzeug dafür seht ihr schon. Wie ihr es aber aus eurem Alltag kennt, arbeitet ihr die meiste Zeit in getrennten Bereichen: ein Teil von euch im Cockpit und ein Teil in der Kabine.
Da muss die Kommunikation einfach stimmen, auch wenn man nur „verbal“ kommunizieren kann. Und während des Flugs können die Pilot:innen eben nicht sehen, was in der Kabine bei den Flugbegleiter:innen passiert und umgekehrt. Deshalb wird ein Teil von euch im Rahmen dieses Lernprojekts nichts sehen: Jede:r Zweite von euch bekommt eine Augenbinde und wird für die Dauer des Lernprojekts ‚blind‘ agieren. Die weiteren Regeln sind, dass alle Schnüre immer gespannt bleiben müssen und niemand seine Schnüre aus der Hand geben darf. Wenn ein Klotz umfällt, dann muss er liegen bleiben und darf nicht wieder aufgestellt werden. Den Zeitrahmen lege ich auf zwölf Minuten fest.“
Ich fordere alle Teilnehmer:innen auf, aufzustehen und sich im Kreis um das Tool aufzustellen. Dann verteile ich an jede:n Zweite:n eine Augenbinde und bitte sie, sich gegenseitig zu helfen, die Augen zu verbinden. Nun nehmen alle das Ende einer Schnur und heben gemeinsam den Kran an. Wenn der Kran in der Luft ist, nehme ich das schwarze Tuch weg und die Klötze werden für die „Sehenden“ sichtbar.

 

Übertragung in die echte Welt

Elemente im LernprojektElemente in der echten Welt
Klötze und TurmTeilbereiche Flug/gesamter Flug
SchnüreHandlungsrahmen/Vorgaben
„Sehende“ Teilnehmer:innenfliegendes Personal im Cockpit oder in der Kabine
„Blinde“ Teilnehmer:innen fliegendes Personal in der Kabine oder im Cockpit
Kranerfolgreiche Zusammenarbeit

 

„Jetzt bin ich sehr gespannt, wie ihr als Gesamtteam kommuniziert und mit völlig unterschiedlichen Wahrnehmungskanälen einen hohen und sicheren Turm baut – viel Erfolg!“

 

c. Verlauf
Das Team beginnt schnell, zu kommunizieren: Die „Sehenden“ beraten sich, analysieren die Situation und bestimmen nach einiger Zeit zwei sehende Teilnehmer:innen, die die Führung übernehmen. Noch wurde kein Holzklotz bewegt. Die „Blinden“ stehen dabei und halten sich zurück, zu Beginn äußert sich niemand von ihnen. Die „Sehenden“ erkennen, dass die Klötze des Tower of Power Spezial nur nach einem ganz bestimmten „puzzleartigen“ Prinzip aufeinandergestellt werden können. Es muss eine Strategie her. Die „Sehenden“ beginnen also, die Reihenfolge der Klötze festzulegen.
Jetzt kommt eine erste zaghafte Frage einer „blinden“ Teilnehmerin, man möge doch die „Blinden“ mal informieren. Nun beginnt einer der „Sehenden“ mit einer Zustandsbeschreibung der Situation. Die häufigen Nachfragen der „Blinden“ machen deutlich, dass der „Sehende“ sich nicht wirklich in die Situation der „nicht Sehenden“ hineinversetzt. Die anderen müssen immer wieder auf die Detailfragen der „Blinden“ reagieren und genauer beschreiben, wie z. B. die Klötze aussehen und wo diese stehen.
Dann beschließen die beiden „Führungskräfte“, dass jetzt der erste Klotz angehoben werden und auf den festgelegten Basisklotz gestellt werden soll. Alle ziehen ihre Schnüre hoch, der Kran wird eingehakt und der Klotz angehoben. Aber einer der „Blinden“ zieht in eine falsche Richtung (es wurden vorher für die „Blinden“ keine Richtungen definiert) und der Klotz fällt herunter. Jetzt wird klar: Die „Blinden“ brauchen mehr Informationen, eine klarere Kommunikation und eine klare, gemeinsame Sprache.
Nach und nach wird die Situation besser, es wird eindeutiger „verbal“ kommuniziert und es entsteht eine gemeinsame Sprache. Kommandos, Richtungsanweisungen und aktuelle Zustandsberichte werden immer präziser und können somit auch von den „Blinden“ verstanden und umgesetzt werden.
Nach dem vierten, erfolgreich gesetzten Klotz interveniere ich: „Gegen ein Zeitgeld von zwei Minuten stelle ich euch den umgefallenen Klotz wieder auf, nehmt ihr dieses Angebot an?“ Die Mehrheit stimmt zu und so verkürzt sich die zur Verfügung stehende Zeit auf nur noch knapp zwei Minuten. Nun entsteht Stress (den ich durch diese Intervention auch erzeugen wollte). Es muss sich zeigen, ob die bisherige Kommunikationsstrategie auch unter Stress funktioniert.
Es geht jetzt etwas „ruppiger“ und mit deutlich weniger Spaß und Lachen durch die Stressphase, aber das Team schafft es schließlich, in der zur Verfügung stehenden Zeit alle Klötze aufeinanderzustellen. Am Ende klatschen alle Beifall und feiern den Erfolg.

 

Reflexion
Für die Auswertung des Lernprojekts habe ich beide Teams in zwei getrennte Räume aufgeteilt:
Die „Sehenden“ sammelten als Ergebnisse zu ihrer Frage „Welche Kompetenzen brauchte es für den Prozess?“ folgende Punkte:
• Führung
• Absprache
• Klare Anweisungen
• Genaue Richtungsangaben
• Mentoren für die Blinden
• Technischer Blick

Die ‚Blinden‘ hingegen gaben auf ihre Frage „Welche Bedürfnisse hatten die ‚Nicht-Sehenden‘?“ folgende Antworten:
• Eingebundenwerden in den Prozess
• Genaue Beschreibung der Situation
• Wahrgenommenwerden
• Genaue Richtungsangaben
• Gesehenwerden
• Motivation

Im Anschluss kamen beide „Teams“ wieder im Plenum zusammen und die Charts wurden nebeneinandergestellt und ausgewertet. So war ein gegenseitiges Verständnis möglich, wie angemessen und hilfreich kommuniziert werden sollte, um die Bedürfnisse der „blinden“ Teammitglieder angemessen zu berücksichtigen.
Zugleich hatte ich eine besondere, weitere Auswertungsmethode über diesen ersten Teil der Auswertung hinaus vorbereitet. Ich nenne sie den „Wow-Protokollant“. Während des Lernprojekts hatte ich zusammen mit meiner Co-Trainerin einige Aussagen der Teilnehmer:innen, die während des Lernprojekts gefallen waren, „wortwörtlich“ auf Moderationskarten notiert. Dort sammelten wir dann typische Aussagen, die in solchen Arbeitsprozessen fallen wie „Könnt ihr mal die Klappe halten“, „War ja klar, dass … es wieder falsch macht“ bis hin zu „Großartig, weiter so“ oder „Alles oder nichts“ und „Wir schaffen das“.
Zum Abschluss ließen wir dann mit jeweils drei roten (negativen) und drei grünen (positiven) Klebepunkten bewerten, welche dieser Aussagen eher hilfreich und zielführend und welche eher hinderlich für die Zielerreichung sind. Eine wunderbare „Augenöffner-Methode“, die in der Regel gar nicht mehr kommentiert werden muss, denn die Ergebnisse der Klebepunkte sprechen für sich.

 

Fazit
Dieses Lernprojekt hat besonders als Train-the-Trainer-Schulung bei Fluggesellschaften eine hohe Bedeutung: Denn die Trainer:innen erfahren hier im Rahmen einer Doppelperspektive den Sinn dieser Inszenierung selbst und lernen zugleich eine neue didaktische Möglichkeit kennen, Erfahrungen sicht- und fühlbar werden zu lassen.