Wie schnell Emotionen dominieren! – Soft Skills für technisches Projektmanagement

FutureCity

Christiane Kleyna

 

Überblick
Die Bachelor-Studierenden ingenieurwissenschaftlicher Fächer an der TH Aschaffenburg müssen drei technische und drei nichttechnische Wahlpflichtfächer absolvieren. Von 2014 bis 2019 habe ich das Wahlpflichtfach „Soziale Kompetenzen der Projektleitung im technischen Projektmanagement“ unterrichtet.

 

Thema
Technologische Berufe zeichnen sich durch eine starke Sachbezogenheit aus. Kenntnisse und Übungen in sozialen Kompetenzen sind daher eine wichtige und sensibilisierende Qualifikation, die bereits im Studium angelegt werden sollte. Die in einem Projekt notwendigen Soft Skills oder sozialen Kompetenzen vermittelte ich anhand der Themen Führung, Teamentwicklung, Kommunikation und Konfliktmanagement. Die theoretischen Inhalte wurden in jeder Einheit bereits mit interaktiven Übungen praktisch vertieft. In der abschließenden Session kamen alle erlernten Soft Skills in der mit FutureCity simulierten Projektsituation zur Anwendung.
Das von mir beschriebene Setting ist auch mit einem „hybriden“ Team anwendbar, also mit vor Ort präsenten und online zugeschalteten Teilnehmer:innen.

 

Inszenierung
a. Vorbereitung
Die Gestaltung des Raums und die Platzierung des Tools erfolgt in der Pause, wenn die Studierenden nicht im Raum sind. Ein Tisch, an dem sechs „Macher:innen“ bequem Platz nehmen können, wird mitten im Raum positioniert. Die mehrperspektivischen Bauteile, aus denen die Gebäude errichtet werden sollen, werden auf dem Tisch verteilt. Etwa zwei Meter vom Tisch entfernt baue ich nebeneinander zwei Metaplanwände auf. Die Fotokarten wähle ich entsprechend der Anzahl der Gebäude und Teilnehmenden aus. Im beschriebenen Fall bekommt jede:r Stakeholder:in jeweils zwei Fotokarten.

 

b. Durchführung
Die Studierenden werden nach der Pause in die Interaktion eingewiesen: „Wir sind nun fast am Ende der Veranstaltung angekommen. Um das Erlernte der einzelnen Einheiten in einem Miniprojekt zu simulieren, bekommen Sie den Auftrag, aus den gegebenen Ressourcen – nämlich den Bauteilen auf dem Tisch – Gebäude zu bauen.
Dazu bitte ich die von mir ausgewählten sechs Personen, die das Projektteam bilden – die „Macher:innen“ – am Tisch Platz zu nehmen. Weitere sechs Teilnehmende, die „Stakeholder:innen“, positionieren sich bitte mit Abstand um den Tisch herum. Zwei weitere „Stakeholder:innen“ bitte ich hinter die Metaplanwände. Jede:r Stakeholder:in, rund um den Tisch oder hinter der Wand, bekommt zwei Fotokarten mit Bauanleitungen. Diese müssen streng vertraulich gehandhabt werden, d. h. sie dürfen nicht hergezeigt werden. Alle Stakeholder:innen dürfen nur verbal Informationen an das Projektteam kommunizieren. Sie dürfen die Bauteile nicht berühren und so direkt in das Tischgeschehen eingreifen.
Ich bin gespannt, wie wirksam die Stakeholder:innen die vorhandenen Informationen kommunizieren und wie das Verstandene vom Projektteam umgesetzt wird, sodass am Ende das Projektziel erreicht wird. Sie haben für Ihr gemeinsames Projekt 30 Minuten Zeit. Ich wünsche Ihnen gutes Gelingen!“

 

c. Verlauf
Das Projektteam nimmt am Tisch Platz, die Stakeholder:innen erhalten die Fotokarten. Zögerlich geht es los. Aus dem Projektteam kommt die Frage: „Also, was sollen wir jetzt machen?“ Die Stakeholder:innen geben Anweisungen, wodurch in den ersten Minuten ein ziemliches Durcheinander entsteht.
Dann kommt der erste Stakeholder auf die Idee, die anderen zu fragen, was auf ihren Karten abgebildet ist. Sie stellen fest: Auf jeder Karte ist ein anderes Gebäude abgebildet. Manche sehen auf jeder Karte nur ein Gebäude, andere haben auf einer Karte ein Gebäude und auf der anderen zwei oder drei Gebäude.
Es entwickelt sich zunehmend Chaos, alle reden durcheinander, keine:r hört zu. Das Projektteam ist zunehmend verloren und versucht, Informationen von den Stakeholder:innen aufzunehmen. Zwischendurch äußert ein Projektteammitglied: „Achtung, manche Bauteile haben farbige Seiten!“ Das Projektteam splittet sich auf: Einer baut an einem Gebäude, drei an dem zweiten Gebäude, die anderen schieben und wenden Bauteile hin und her.
Die beiden Stakeholder:innen hinter den Metaplanwänden sind auf verlorenem Posten. Sie sprechen sich untereinander ab und versuchen, sich Gehör zu verschaffen. Die eine Stakeholderin wird zunehmend nervöser und rot im Gesicht, während ihr Kollege hinter der Wand versucht, sie durch sachlichen Abgleich mit seinen Fotokarten zu beruhigen. Sie steht auf und drückt ihr Ohr nah an die Wand, sie ruft rein, fordert Beschreibungen und Informationen, wird kurz abgespeist. Es gelingt ihr nicht, wirklich gehört zu werden. Immer wieder versucht ihr Mitstreiter hinter der Metaplanwand, sie zu beruhigen.
Währenddessen nähern sich die anderen Stakeholder:innen dem Tisch. Es wird hier und dort korrigiert, das Projektteam tauscht, dreht und wendet die Bauteile. Ein Projektteammitglied steht auf, beugt sich über den Tisch und versucht, die Kontrolle des Bauverlaufs zu übernehmen. Ein anderes Projektteammitglied lehnt sich zurück und beobachtet das Geschehen. Eine dritte Person gleicht aus und weist den „Kontrolleur“ in seine Schranken.
Inzwischen stehen die Stakeholder:innen direkt am Tisch, beugen sich über den Tisch und zeigen mit Fingern auf Bauteile und die Position, in die sie gebracht werden müssen. Ihr Eingreifen ist kurz vor der Berührung von Bauteilen und führt zur Ermahnung meinerseits.
Mittlerweile ist die Stakeholderin hinter der Metaplanwand ausgestiegen und verwickelt ihren Mitstreiter hinter der Wand in ein Gespräch. Ein Stakeholder vor der Wand befragt die beiden hinter der Metaplanwand nach den Informationen auf ihren Fotokarten und gleicht dies mit den fast fertiggestellten Gebäuden auf dem Tisch ab.
Nach und nach entstehen die Gebäude. Ich sage die verbleibende Zeit von drei Minuten an. Die Gebäude werden von allen Beteiligten, mit Ausnahme der Personen hinter den Metaplanwänden, und aus allen Perspektiven auf Richtigkeit geprüft. Nach Ablauf der 30 Minuten stehen die Gebäude: Das Projektziel ist erreicht.

 

Reflexion
Was haben die Teilnehmer:innen in den unterschiedlichen Stadien des Projektverlaufs erlebt? Zu Beginn des Projekts:
• Nicht ausreden lassen
• Kein Gehör finden
• Mehrere Teilnehmende reden gleichzeitig
• Einzelne werden als zu dominant empfunden, dies führt teilweise zu Rückzug und Desinteresse
Als klar wird, dass die Gebäude auf den Fotokarten in unterschiedlichen Perspektiven dargestellt sind:
• Der Austausch wird konzentrierter und ruhiger
• Gesagtes wird durch Rückfragen auf Verständnis geprüft
• Die Perspektiven Einzelner werden überprüft
• Die Stakeholder:innen werden körperlich aktiver: Sie treten an den Tisch heran und gehen umher; dies sorgt für eine bessere Abstimmung der Informationen und beschleunigt das Bautempo
• Zwei Stakeholder:innen übernehmen die Führung

Als die Emotionen Einzelner im Projektverlauf heftiger werden und sich bei ihnen das Gefühl des „Abgehängtseins“ verstärkt:
Die beiden Stakeholder:innen hinter den Metaplanwänden fühlen sich vernachlässigt und nicht gehört; sie haben das Gefühl, keinen Einfluss auf das Projektgeschehen ausüben zu können. Wut und Hektik entwickelt sich bei ihnen und steigert sich bis zuletzt. Es entwickelt sich Zündstoff „hinter den Kulissen“
Im Projektteam lehnen sich zwei Personen desinteressiert zurück, weil sie das Verhalten einer anderen Person aus dem Projektteam als übergriffig empfinden

Learnings für den Projektalltag:
• Jedes Team durchläuft Phasen; dazu gehört es, das anfängliche Chaos auszuhalten und den passenden Moment zu finden, Struktur zu schaffen und eine gemeinsame Strategie zu entwickeln
• Für ein gutes Miteinander sorgen, indem alle in allen Positionen – insbesondere Beteiligte mit Einschränkungen – abgeholt und einbezogen werden, damit Sachinformationen wirksam ausgetauscht werden können und das Projekt gelingt
• In der Funktion als Projektleitung heftige emotionale Reaktionen oder Rückzug Einzelner ernst nehmen und in einem angemessenen Rahmen ansprechen, z. B. in Einzelgesprächen
• Beziehungsebene geht vor Sachebene: weniger Missverständnisse, mehr Klarheit im Team

 

Übertragung in die echte Welt

Elemente im LernprojektElemente in der echten Welt
Stakeholder:innen mit Blick auf den TischProjektteilnehmer:innen mit direkter Beteiligung
Stakeholder:innen hinter den Metaplanwänden Projektbeteiligte ohne Sicht auf das laufende Projektgeschehen,
z. B. Kolleg:innen an anderen Standorten
Macher:innenausführendes Projektteam
FotokartenProjektauftrag (Bauanleitung)
Mehrperspektivische BauteileRessourcen
GebäudeProjektziel
Metaplanwände (Sichtschutz)räumliche Trennung oder andere Einschränkungen
in der Beteiligung
ZeitArbeiten unter Zeitdruck

 

Fazit
Im Verlauf der Interaktion spiegelten sich die zuvor vermittelten Kenntnisse zu Soft Skills im Projektgeschehen 1 : 1 wider; dadurch konnten die zuvor erlernten kommunikativen Techniken gelingend Anwendung finden. Den größten Lerneffekt hatte der Aspekt „Wie schnell Emotionen dominieren“, d. h. zu erleben, wie emotional sich selbst eine „fiktive“ Situation entwickeln kann. Die Teilnehmenden erlebten ihre eigene Position und auch, wie die anderen sich fühlten. Sie erlebten hautnah, welche Möglichkeiten sie und die anderen Teilnehmenden hatten, aber auch, wo sie in ihren Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt waren. Dies führte zu einer intensiven Reflexion mit Blick auf zukünftige Projekte.
Die persönliche Reflexion der einzelnen Teilnehmer:innen floss zudem in die von mir gestellte Prüfungsaufgabe: das Drehen eines Videos mit dem Titel „Was ich als Projektleitung einem Unternehmen biete!“.