Dietrich Kretschmar
Überblick
Ein großer Baukonzern schließt bei Projekten einen partnerschaftlichen Bauvertrag, um mit den Investoren und Architekturbüros kooperativ zusammenzuarbeiten. Viele Alltagsprobleme, die während des Bauens auftauchen, müssen besprochen, verhandelt und einer Lösung zugeführt werden. Die beteiligten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben bisher eher konfrontativ und gewinnmaximierend gearbeitet – und sollen jetzt ihre Kommunikation und Zusammenarbeit anders gestalten und im Sinne von Win-win eine Gewinnsicherung für alle Seiten erreichen.
Thema
In einer Kick-off-Veranstaltung mit vielen Praxisberichten und fachlichen Vorträgen geht es darum, die Kolleginnen und Kollegen in einer kleinen Praxisübung in ein Arbeits- und Verhandlungssetting zu versetzen. Führungskräfte, Projektleitung, Bauleiter, Poliere und Akquisiteure sollen kooperatives und partnerschaftliches Verhalten erleben. Ziel ist, mit dem Lernprojekt StackMan einen emotionalen Anker zu setzen, der auch in der späteren Alltagsrealität abrufbar ist.
Inszenierung
a. Vorbereitung
40 Teilnehmende werden in fünf Gruppen aufgeteilt. Jedes Team arbeitet mit einem Set StackMan und wird von einer Person begleitet, welche die Gruppendynamik, die Verhandlungen und Umsetzungen im „Bauteam“ beobachtet, dazu Notizen macht und in die spätere Reflexion einbringt. Ein Beobachterbogen (siehe oben) mit gewünschten Reflexionsthemen gibt dabei Hilfestellung, fokussiert zu beobachten. Geleitet wird das gesamte Projekt technisch und kaufmännisch von zwei Projektleiter:innen.
Das Briefing besteht in einem schriftlichen Auftrag für ein Testprojekt: „Ein bedeutender Auftraggeber ist interessiert, mit Ihnen ein Projekt partnerschaftlich umzusetzen. Vor der Auftragsvergabe möchte der Auftraggeber in einem kleineren Projekt die Zusammenarbeit mit Ihnen testen und sich einen Eindruck davon verschaffen, wie Sie „partnerschaftliches Bauen“ verstehen und leben. Bisher hat der Auftraggeber immer in Einzelvergabe die Gewerke beauftragt.
Das Testprojekt sieht folgendermaßen aus: Es sollen fünf Gewerke (also je Gruppe ein Gewerk) gleichzeitig abgearbeitet werden. Die Rahmenbedingungen in den Gewerken sind bis auf mögliche Unterschiede in der Gruppengröße alle gleich. Der Wunsch des Auftraggebers ist es, dass alle Gewerke in höchster Qualität, in der vereinbarten Zeit und im Rahmen des Budgets abgewickelt werden.
Sie haben die Möglichkeit, Synergien zwischen den einzelnen Gewerken zu nutzen. Im Büro des Auftraggebers sind Baubesprechungen der Teams möglich. Diese sind selbst zu organisieren und durchzuführen. Es empfiehlt sich, dass aus jedem Team nur ein:e Vertreter:in in die Baubesprechungen gesandt wird. Im Büro des Auftraggebers befindet sich auch das „Musterhaus“ (das fertiggestellte StackMan Puzzle) in Originalgröße zur Ansicht. Der Auftraggeber ist jederzeit offen für Gespräche und in seinem Büro auch erreichbar.
Zu erstellen ist jeweils ein Puzzle aus 15 Brettern. Es ist nach der vorgegebenen Zeichnung aufzubauen. Die bisher vereinbarte Bauzeit beträgt 40 Minuten, darin sind Ausprobieren und Organisation der Bauteams enthalten. Nach Ablauf der 40 Minuten muss jedes Gewerk den Aufbau ohne technische Zeichnung in weniger als einer Minute erledigen können (Performance-Zeit). Die einzelnen Performancezeiten der Gewerke werden addiert und bilden die Grundlage für die Zielvereinbarung der Live-Performance. Dazu müssen die Bretter beim Start so aufeinandergelegt sein, dass das längste Brett unten und das kürzeste Brett oben liegt. Die Bretter dazwischen sind ebenfalls der Länge nach sortiert (vom längsten zum kürzesten Brett).
Dem Bauherrn ist eine kürzere Bauzeit sehr angenehm. Insbesondere bei der Abnahme, hat er bereits erkennen lassen, haben andere Unternehmen bereits deutlich kürzere Zeiten als eine Minute erreicht. Er sprach von möglichen Zeiten unter 30 Sekunden pro Gewerk. Mögliche Bauzeitenverlängerung (Verlängerung der 40-minütigen Testphase) hätten deutliche Einbußen bei der „Performancezeit“ zur Folge und damit auch Einfluss auf die geplanten Gewinne/Erträge.“
b. Durchführung
Die Projektleitung übernimmt die fünf Bauteams. Diese befinden sich in fünf getrennten Räumen. Dort wird oft sofort angefangen zu „puzzeln“: Man will ja vorwärtskommen, die Zeit ist knapp und die Baubarkeit muss ja sichergestellt werden. Regelmäßige Baubesprechungen der Teilprojektleitungen gehen den Verhandlungsrunden mit dem Auftraggeber voraus. Nach 30 Minuten (also zehn Minuten vor Ablauf der Bauzeit) muss ein finales Angebot der Zeitbedarfe für die fünf Gewerke in
Übertragung in die echte Welt
Elemente im Lernprojekt | Elemente in der echten Welt |
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Rollenverteilung | Organisationstrukturen in Bauprojekten |
Zeitdruck | Termine zur Fertigstellung haben Einfluss auf die Gewinnsituation |
Baubesprechungen | tägliche/Wöchentliche Baubesprechungen für Qualitätssicherung, Kostenoptimierung und Terminplanung |
Verhandlungen innerhalb der Gewerke und mit dem Auftraggeber | Verhandlungen mit dem Auftraggeber über Nachträge zur Gewinnsicherung aller beteiligten Partner:innen eines Bauprojekts |
Planung, Abstimmung und Bau der Puzzle | unterschiedliche Gewerke müssen gut abgestimmt werden und führen dann zum Gesamterfolg eines Bauprojekts; Planung und Vorbereitung sind dafür ein elementarer Erfolgsgarant; der Einsatz von Lean-Techniken (Taktplanung) sorgt für einen effektiven und effizienten Bauablauf |
Synergien erkennen: einzelne Bauteams geben | Optimierungen zur Kostensenkung und Sicherung der Gewinne; unvorhersehbare Kostensteigerungen durch Kostenminderungen ausgleichen |
der Live-Performance an den Auftraggeber abgegeben werden. Und dieser fordert in Verhandlungen mit der Projektleitung eine weitere Effizienz zur Verbesserung der Ergebnisse.
Die als Beobachter eingesetzten Teilnehmer:innen sehen sich den Prozess an und machen sich dazu Notizen. Sie schalten sich nicht in die Aufgabe ein, sondern geben in der anschließenden Reflexion ihre Beobachtungen an die Gruppe oder auch an Einzelpersonen weiter. Dabei beachten sie die Feedbackregeln, formulieren in Ich-Botschaften und vermeiden Du-Botschaften. Oft haben gerade Beobachter einen hohen persönlichen Lerneffekt durch diese Aufgabe.
c. Verlauf
Die Anspannung bei dieser neuen und unbekannten Aufgabe ist deutlich spürbar. Alle versuchen, ihr Bestes zu geben. Die einen haben keine Probleme mit der räumlichen Vorstellung und dem Behalten komplexer Abläufe. Andere erkennen schnell, dass sie nur „einfache“ Aufgaben übernehmen können und so ihre Fähigkeiten ins Team einbringen können. Jeder und jede wird gebraucht. Kommt der „Chef“ mal zur Kontrolle der Ergebnisse, kann es auch zu Verwirrung im Team kommen, wenn die Ratschläge gut gemeint sind, aber nicht zur Struktur des Teams passen.
Die Situation hat einen vergleichbaren Charakter, wie es auch in der Realität auf Bauprojekten zugeht. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind gefordert und können mit den unterschiedlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten eingesetzt werden: Kreativität, Motivation, räumliches Denken, Verhandlungsgeschick, Zielorientierung, Teamfähigkeit, strukturiertes Arbeiten in Prozessen, Kooperationsbereitschaft, Konsensfähigkeit, Geschicklichkeit usw.
Am Ende wird die Zeit knapp, Hektik kommt auf und die Gewerke stehen unter Zeitdruck. Die Kommunikation, der Umgang mit Fehlern oder Unsicherheiten – alles muss so gestaltet werden, dass die Mitarbeitenden Spaß und Freude bei der Arbeit haben und Konflikte im Team und mit dem Auftraggeber vermieden werden.
d. Abschluss
Am Ende dürfen die letztendlich zwischen der Projektleitung und dem Auftraggeber vereinbarten Zeitziele der fünf Gruppen in Summe nur wenig von der Live-Performance abweichen. Übererreichung ist genauso schlecht wie Nichterreichung der Ziele, denn das Ziel ist ja Win-win für alle Beteiligten. Das Ergebnis wird durch die Projektleiter an die „Mannschaften“ vermittelt und Anerkennung und Lob bei Zielerreichung gegeben. Werden die Ziele verfehlt, wird durch die Projektleiter noch an Optimierungen gearbeitet und werden Verbesserungsprozesse entwickelt.
Reflexion
Die Beobachtenden berichten im Plenum und geben Feedback an alle Beteiligten. Gut geeignet ist auch eine Reflexion mit der „Fish-Bowl-Technik“, um gezielte Fragen zum Transfer in den Alltag stellen zu können:
• Wie lief die Kommunikation im Team?
• Wurden alle Ressourcen genutzt?
• Wie lief der Umgang mit Zeitengpässen?
• Wie stand es um Verhandlungsbereitschaft und Offenheit?
• Wurden alle Verhandlungsmöglichkeiten und Optionen genutzt?
• Wurden die vereinbarten Regeln eingehalten?
• Wie war die Balance zwischen Gewinnsicherung und Gewinnmaximierung?
• Wie ist das Konfliktmanagement im Team und mit dem Auftraggeber gelungen?
• Wie war die innere Einstellung der Mitarbeiter:innen, der Glaube an den Erfolg?
Fazit
Das vom Auftraggeber geforderte Verhalten für „partnerschaftliches Bauen“ wird in diesem Lernprojekt mit allen Sinnen erlebbar und hat für alle Teilnehmenden (Projektleitung, Bauteams, Beobachtende) eine nachhaltige Wirkung und bleibt lange im Bewusstsein. Mit diesem Setting können 50 Personen in einem Projekt wirkungsvoll aktiviert und nachhaltig beteiligt werden.
Reflexion und Transfer mit der „Fish-Bowl-Technik“
Nach einem Lernprojekt verwenden wir diese Technik für die Reflexion bzw. den Transfer in den Alltag. Alle Teilnehmenden sitzen in einem großen Kreis. In der Mitte stehen vier bis sechs Stühle (Fish-Bowl), ein Stuhl bleibt davon frei. Jetzt diskutiert und reflektiert diese „innere“ Gruppe über die Erlebnisse während des Lernprojekts zu den vorher auf dem Flipchart vorgegebenen Reflexionsthemen. Die Teilnehmenden im äußeren Kreis hören nur zu, haben aber jederzeit die Möglichkeit, für eine Frage oder einen Kommentar sich auf den freien Stuhl in der „Fish-Bowl“ zu setzen und sich kurz in die Reflexion mit einzubringen. So können immer wieder andere Personen aus dem äußeren Kreis mitdiskutieren. Die Gruppe im inneren Kreis kann auch durch die Beobachtenden und die Trainer:innen besetzt werden, die ihre Wahrnehmungen, Vermutungen oder Beobachtungen austauschen.