Wirf den Lern-Motor an! – Mehr Wirkung durch geschicktes Reflektieren

ScenarioCards, Seil & Moderationsbälle

Tobias Voss

 

Immer wieder höre ich davon, wie Kolleginnen und Kollegen die Chance der Reflexion verstreichen lassen und ein Lernprojekt einfach nur der Aktion wegen durchführen. Dabei kann erst eine gelungene Reflexion den „Lern-­Motor“ so richtig anspringen lassen und die persönliche sowie gruppendy­namische Entwicklung voranbringen. Nicht zu reflektieren ist in diesem Fall also so etwas, wie den Motor beim Anspringen absterben zu lassen. Das ist schade! Denn so kann die wirkliche Kraft von Lernprojekten häufig gar nicht in Gang kommen. Der Haken am Nichtreflektieren ist, dass die Teil­nehmer das Lernprojekt dann einfach als Spiel abspeichern und es zu wenig mit ihrem Alltag vernetzt wird. Eine vertane Chance!

Das große Potenzial einer geschickten Reflexion ist vielschichtig: Zum einen wäre da die Metaperspektive, die sich erlangen lässt, wenn wir mit Abstand auf etwas Erlebtes schauen. Denn es ist ein völlig anderer Lernprozess, der auch im Gehirn anders verarbeitet wird, wenn wir etwas Geschehenes noch einmal Revue passieren lassen.

Darüber hinaus wirkt Reflektieren ent­schleunigend. Es ist ein bisschen wie in der Zeitlupe: Wechselwirkungsbeziehungen in der Gruppe lassen sich so besser nachvoll­ziehen, ebenso wie Missverständnisse, die im Eifer des Gefechts eventuell zu falschen Entscheidungen geführt haben.

Außerdem wird es möglich, Gefühle besser anzusprechen und auf diesem Weg echte Tiefe in den Prozess zu bekommen. Darüber hinaus bleibt das Lernen an sich spannend – denn immer, wenn die Teilneh­mer in einem Zustand sind, sich selbst be­deutende Fragen zu stellen, und versuchen, diese zu beantworten, entsteht eine höhere persönliche Sinnhaftigkeit.

Letzteres verdeutlicht, wie wichtig das Sening der Reflexion ist: Denn es soll vor allem Offenheit und einen sicheren Raum erzeugen. Der zweite zentrale Faktor für die Wirksamkeit der Reflexion sind natürlich die Fragen, die zum Einsatz kommen. Beide Wirkkräfte der Reflexion – Setting und Fragestellung – verstärken sich gegenseitig und sollten bei jeder Gruppe mit Bedacht gewählt werden.

 

Typische Lernbremsen beim Reflektieren entstehen, wenn … 

• der Moderator mit dem „Pariser Mo­dell“ arbeitet und der Gruppe etwas überstülpt, wie zum Beispiel (eigene) Wahrheiten, wie „es“ wirklich ist.
• der Moderator sich zu unproduktivem „Mäandern“ verführen lässt und das Gespräch oberflächlich bleibt und vor sich hin plätschert, aber kein Ziel verfolgt.
• der Moderator sich vom negativen Erleben in eine Problemtrance ver­setzen lässt und dabei alles Positive ausblendet.
• zu lange analysiert wird.
• allein dominante Teilnehmer mit ihrer Meinung im Vordergrund stehen.

 

Folgende Aspekte können dazu beitragen, einen wirkungsvollen Reflexionsprozess zu gestalten:

• Sammeln und Anerkennen von „ich“ ­und „wir“-Aussagen. Dabei ist es wichtig zu erkennen, dass nach einem Lernprojekt die Akteure häufig ihre Wahrnehmung des Lernprozesses für die Wahrnehmung aller anderer Beteiligten halten, was aber natürlich niemals zutrifft. Oft wird diese per­sönliche Perspektive dann mit einem „Wir hatten aber wirklich ein Problem . . . “ zu Beginn der Reflexion verallgemeinert. Eine mögliche geschickte Reaktion wäre hier zum Beispiel die Frage: ,,Und wer hat den Prozess anders erlebt … ?“
• Den gesamten Lernprozess in den Blick zu bekommen, denn häufig ist zu Beginn erst einmal das im Fokus, was zuletzt passiert ist
• Möglichst viele Lernstile anzusprechen (egal, mit welchem Konzept man arbeitet)
• Transfer in den Alltag: Welche Lerner­fahrung führt zu welchen Effekten im Alltag? Wie kann die Brücke in den Alltag gebaut werden, sodass möglichst viel Nachhaltigkeit entsteht?
• Ressourcenorientierung: Sich als Trainer nicht vom negativem Sog der Gruppe hypnotisieren lassen, son­dern Problemorientierung als Fokus betrachten, der durch ressourcenori­entierte Fragen unfokussiert werden kann. Dies erreicht man zum Beispiel mithilfe von Fragen wie: ,,Was ist wirklich wichtig?“, ,,Wo liegen unsere Stärken und in welchen Kontexten werden sie sichtbar?“, ,,Wo wollen wir hin?“ etc.

 

Aktive, bewegte Reflexion
Eine gelungene Reflexion ist auch mit dem Ablauf eines guten Gesprächs zu vergleichen. Es kann davon unendlich viele Vari­ationen geben – und eine große Variations­breite ist in jedem Fall wirkungsvoller, als wenn die Reflexion immer nach demselben langweiligen Schema (zum Beispiel nach dem Muster „Trainer fragt – Teilnehmer antwortet“) verläuft. Und gleichzeitig spielt auch hier das Setting eine wichtige Rolle. So ist etwa ein Gespräch am Lagerfeuer anders als eines im Seminarraum. Auf­fallend ist auch, dass ein Gespräch beim Spazierengehen manchmal gerade durch die Bewegung eine besondere Dynamik erhält – denn äußere (körperliche) Bewegung ist auch innere Bewegung. Übertragen auf die Methodik des Reflektierens bedeutet dies, dass es wichtig ist, immer auch die Reflektierenden geschickt in Beziehung zueinander zu bringen und durch abwech­selnde Methoden zu inspirieren.

Deswegen stelle ich Ihnen im Folgenden eine Handvoll in der Praxis erprobter Methoden der aktiven und bewegten Re­flexion vor.

 

A. Reflexion zum Einstieg

Blick zurück – Blick nach vorne
(Material: 1-2 Sets ScenarioCards pro 20 Teilnehmer)
Im Rahmen einer Jahresklausur lädt der Trainer beispielsweise die Teilnehmer ein, das zurückliegende Jahr zu reflektieren. Hierzu hängt er im Raum mehrere Flip­charts jeweils mit einer Frage darauf auf. Die Gruppenmitglieder gehen in Klein­gruppen von Frage zu Frage und wählen jeweils ScenarioCards als Antworten auf die Fragen aus, kleben diese mit Kreppband aufs Flipchart und schreiben Kommentare dazu auf. Mögliche Fragen können sein: „Was waren wichtige Erfolge?“, ,,Was waren große Herausforderungen?“, ,,Was waren wichtige Veränderungen?“, ,,Wo sind wir besonders gut mit Schwierigkeiten umge­gangen?“. Im Anschluss werden die Karten inklusive der Kommentare gemeinsam vorgestellt.
In einem zweiten Schritt hat der Trainer wieder Flipcharts mit z. B. folgenden Fragen vorbereitet: ,,Welche Kompetenzen wollen wir weiter ausbauen?“, ,,Was wird kommendes Jahr besonders wichtig?“, ,,Auf was freue ich mich?“.

 

B. Nach einem Lernprojekt

Das sprechende Seil
(Material: Seil mit ca. 15-25 m Länge je nach Gruppengröße, z. B. in Rot von METALOG®)
Der Trainer macht zwei unterschiedliche Knoten in ein Seil, z. B. einen kleineren mit einer Schlaufe und einen dickeren, der zugleich das Seil zu einem Kreis verknotet. Das Seil muss genau so lang sein, dass alle Teilnehmer, die im Stuhlkreis sitzen, es mit beiden Händen festhalten können. Zur Reflexion wird dann das Seil im Kreis weitergereicht, bis jeweils einer der Knoten bei der nächsten Person angelangt ist. Hat ein Teilnehmer den dicken Knoten in der Hand, so kann er ihn festhalten und eine Aussage machen, die von den anderen kom­mentiert werden kann. Hat ein Teilnehmer den kleineren Schlaufenknoten in der Hand, kann er ihn ebenfalls festhalten und eine Frage stellen, die der Rest der Gruppe dann beantwortet. So entsteht eine spannende Dynamik.

 

Spiel’s nochmal
(Material: Fernsteuerung, Mikrofon oder Dummys von beidem)
Diese Form der aktiven Reflexion erzeugt Spannung, ist unglaublich lustig und bringt eine Menge neuer Informationen. Der Trainer führt die Fernsteuerung und das Mikrofon ein. Mit beiden Hilfsmitteln ist es möglich, besonders interessante Szenen

• erneut abzuspielen (,,Jetzt schauen wir uns die Szene noch einmal an ab dem Moment, als … „),
• anzuhalten (,,Und jetzt Stopp!“),
• in Zeitlupe oder rückwärts laufen zu lassen.

 

Dann übergibt der Trainer einem Teilnehmer die Fernsteuerung und einem anderen Teilnehmer das Mikrofon. Beide wählen die erste Szene aus, die die Gruppe noch einmal nachspielen soll.
Die Person mit dem Mikrofon kann dann einzelne Akteure interviewen. Gut geeignete Fragen sind zum Beispiel: ,,Wie geht es Dir jetzt?“ oder „Was denkst Du in diesem Moment?“.

 

Moderationsbälle
(Material: METALOG® Moderations­bälle 1 und 2)
Die Moderationsbälle sind feine Reflexions­werkzeuge, die eine tolle Unterstützung in nahezu jeder Phase des Gruppenprozesses beim Auswerten bieten können. Wichtig ist dabei, wie wir sie handhaben.
Der Trainer wählt drei Bälle aus, z. B. Hand, Herz, Schlüssel (es ist selbstverständlich möglich, mit noch mehr Bällen zu arbeiten). Dann erklärt er die Aufgabe und den ersten Ball: ,,Ich möchte jetzt gerne mit euch die Erlebnisse während des Lernprojekts re­flektieren. Dazu werde ich gleich diese drei Bälle in die Runde werfen (Trainer zeigt die drei Bälle). Derjenige, der einen Ball in der Hand hat, sagt dazu etwas.“ Dann erklärt der Trainer die Bedeutung des ersten Balls und wirft diesen einer Person in der Runde zu. Während die Bedeutungen der anderen Bälle erklärt wird, hat die Person, die den ersten Ball gefangen hat, bereits Zeit, darü­ber nachzudenken, was sie mit der Gruppe teilen will. Dann spricht die erste Person und wirft im Anschluss den ersten Ball jemand anderen zu, der noch keinen Ball hat. Jetzt spricht die Person, die vom Trainer den zweiten Ball zugeworfen bekommen hat usw. Auf diese Weise hat jede Person, die einen Ball fangt, ein bisschen Zeit, darüber nachzudenken, was sie sagen will. Außerdem wird die Reflexion vielfältiger und bekommt mehr Tiefe.

 

Moderationsbälle und schriftliches Aus­werten
Im Anschluss an das Lernprojekt lässt der Trainer die Gruppe anhand von drei Fragen ihre Erlebnisse schriftlich reflektieren. Die drei Fragen könnten z. B. sein:

1. ,,Wie ging es mir?“
2. ,,Von wem oder wodurch bin ich un­terstützt worden?“
3. ,,Was waren Schlüsselsituationen für mich?“

 

Dann wirft der Trainer, wie oben beschrie­ben, die Bälle in die Runde. Dazu wählt er Bälle aus, die als Symbole für die schrift­lichen Fragen stehen können. In unserem Beispiel: 1. Herz, 2. Hand und 3. Schlüssel.

 

C. Am Ende des Gruppenprozesses
Wäscheleine (Material: Wäscheleine mit ca. 20-30 m Länge, Wäscheklammern, blanko Moderationskarten, 1 Set Emotion Cards 1 und 2 pro 15 Teilnehmer)
Am Ende eines Workshops oder Seminars werden EmotionCards auf einem Tisch verteilt. Die Teilnehmer werden gebeten, sich jeweils eine EmotionCard zu nehmen und auf der Rückseite ihre drei wichtigsten Lernerfahrungen zu notieren. Im Anschluss werden die Bildkarten mit Wäscheklam­mern an der vorher aufgehängten Wäsche­leine befestigt. Danach gehen jeweils 2 Teil­nehmer gemeinsam herum und betrachten die Karten und die Notizen unter der Frage­stellung: ,,Welche der Lernerfahrungen der anderen teile ich und inwiefern sind meine eigenen anders?“ So entsteht ein schöner abschließender Lernspaziergang, der es erlaubt, alle Themen noch einmal Revue passieren zu lassen. Als Erinnerungsanker darf dann jeder Teilnehmer seine eigene Karte mit nach Hause nehmen.

 

Fieberkurve
(Material: 1 – 2 Sets ScenarioCards pro 20 Teilnehmer, Flipchart und Stifte)
Die Akteure bekommen die Aufgabe, in Kleingruppen von 2-5 Personen eine „Fie­berkurve“ über den Verlauf des gesamten Workshops zu zeichnen. Die Ausschläge der Kurve sollen dabei bezeichnet und mit einer ScenarioCard versehen werden. Wenn die Gruppen so weit sind, geht die gesamte Gruppe gemeinsam von Kurve zu Kurve und die Erfahrungen werden vorgestellt.

 

Feedback-Geschenke
(Material: EmotionCards 1 & 2 pro 15 Teil­nehmer)
Die Gruppe wird in 2 oder 3 Teilgruppen geteilt, die jeweils den Mitgliedern einer anderen Gruppe ein Feedback-Geschenk vorbereitet: Das Geschenk ist eine Emoti­onCard für eine Stärke, die die Teilnehmer am anderen erlebt haben. Die zweite Karte formuliert einen Wunsch, den die Teilgrup­pe an das zukünftige Ich des Teilnehmers haben (Entwicklungsfeedback).

 

Moderationsbälle zum Tages-/Seminara­bschluss
(Material: Moderationsbälle z.B. Set 1)
Wenn Sie sich mehr authentische und bewegte Abschlussrunden wünschen, ist folgende Vorgehensweise empfehlenswert:

Variante 1: Werfen Sie am Ende eines Tages/ Seminars die Bälle nach dem unter „Mode­rationsbälle“ beschriebenen Prinzip in die Gruppe. Jeder sollte am Ende einen Ball und damit die Möglichkeit gehabt haben, Feedback zu geben.
Variante 2: Geben Sie die Bälle, nachdem Sie ihre Bedeutungen erklärt haben, in einem Korb im Kreis herum. Fordern Sie die Teilnehmer auf, sich einen oder mehrere Bälle auszuwählen, zu denen sie etwas sagen möchten.

 

Seien Sie kreativ und wagen Sie neue Reflexionsmethoden. Erweitern Sie als Moderator auch Ihre „Reflexions-Komfort­zone“ und verlassen Sie sicher geglaubten Routinen. Wie wäre zum Beispiel mal eine Reflexion der Reflexion? Quasi eine Meta­Metaperspektive? Und wie wäre es, wenn wir Moderatoren uns auch als lernende begreifen würden? Denn in Wirklichkeit ist es doch so, wie meine US-amerikanische Trainerin Christina Hall immer zu sagen pflegt: ,,Learning is an ongoing process“ (Lernen ist ein immerwährender Prozess).