Dem Verbrechen auf der Spur – Auf gemeinsamem Weg die Zusammenhänge erkennen

TeamNavigator, Team² & RealityCheck

Dr. Martin Carnap

 

Überblick
Honduras hat in der Region Lateinamerika das höchste Gewaltaufkommen und eine sehr geringe Aufklärungsrate von Gewaltverbrechen. Das nordamerikanische National Center for State Courts (NCSC) unterstützt mit Wissen und Information für Gerichte den Aufbau der Rechtsschule „Orlan Arturo Chávez“ des Ministerio Publico (MP) in Honduras. Wir wurden vom NCSC eingeladen, in einem dreitägigen Seminar 23 Staatsanwält:innen, die als Dozent:innen an der Rechtsschule unterrichten, neue Lernmethoden und Kooperationstools beizubringen.
Metaaccion arbeitet dabei im Kontext von nachhaltiger Entwicklung in Lateinamerika. Dabei geht es häufig um Themen wie Dezentralisierung, Mediation von Interessen oder Entwicklung von Lernkultur. Wir kooperieren häufig mit Trainer:innen verschiedener Institutionen und Projekten und entwickeln das Lernen in Netzwerken weiter.

 

Thema: Rechtsprechung stärken
Die Initiative zielt darauf ab, ein Ausbildungsnetzwerk der Dozent:innen mit Kenntnissen im Strafprozessrecht zu bilden und die staatsanwaltschaftlichen Funktionen in Honduras zu stärken. Es geht darum, drei Themen aus der Perspektive der jeweiligen Hauptbeteiligten systemisch zu verbinden:
a) die Identifizierung von Verbrechen (Perspektive der Opfer und der Zeug:innen)
b) die Feststellung der Tatbestände (Perspektive von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft)
c) die Rechtsprechung (Perspektive der Richter:innen und der Gerichtsbeteiligten)

Die Auseinandersetzung mit diesen drei Themen wird in drei Workshop-Abschnitten durch die drei Tools TeamNavigator, Team² und RealityCheck als passende Interaktionsmetaphern erlebbar gemacht. Dabei werden auch Dialog- und Kooperationsfähigkeit zur Lösung der Aufgaben gefördert. Prozess und Resultate der Gruppenarbeit werden mit einer Moderationsmethode visualisiert. Unterstützt durch Graphic Recording eines Kollegen werden Lösungen kreativ visualisiert und angeregt.

 

Inszenierung: einen Weg gemeinsam gehen – TeamNavigator
a. Vorbereitung und Durchführung
Die zur Eröffnung der Veranstaltung zusätzlich erschienenen Repräsentant:innen der beteiligten Institutionen und Botschaften hatten bereits in ihren Eröffnungsreden reflektiert, was das Thema der öffentlichen Ausschreibung für sie persönlich bedeutet. Der Dialog war somit eröffnet und sichtbar interessiert folgte die gesamte Gruppe mit mehr als 30 Teilnehmer:innen der Einladung zur ersten Interaktionsaufgabe, dem TeamNavigator.

 

Übertragung in die echte Welt (TeamNavigator)

Elemente im LernprojektElemente in der echten Welt
Schnüre mit verschiedenen Farbenverschiedene Rollen, beteiligte Einheiten, Organisationen
Aufgezeichneter kurvenreicher WegProgrammablauf, Prozedere, Rechtsweg
Aus Schlitzen gezogene, beschriebene PapierstreifenProgrammabschnitte, zu durchlaufende Instanzen,
beteiligte Einheiten
Große Kurven im WegHauptmahlzeiten, Überleitung zu neuen
Seminarabschnitten, Übergänge zwischen Teilbereichen
des Rechts (z. B. Zivil- und Strafrecht)
Alle ziehen an den Schnüren,
die Plattform hebt ab
dominantes Verhalten, gegensätzliche Rechtsforderungen
aller Beteiligten, Desintegration durch starke Interessen
Gezogener Stift verlässt unkoordiniert den gezeichneten WegAufmerksamkeitsverlust, Lernphase durch Irrtum, Ignoranz
der Verfahrensvorschrift, Vertrauensverlust
Gezogener Stift kehrt koordiniert auf den gezeichneten Weg zurückReintegration unter das Programm des Seminars,
Koordination zur Einhaltung des Rechtswegs,
Mediation der Verfahrensbeteiligten

 

Wir bilden einen großen Kreis um den verdeckten TeamNavigator im Zentrum: „Es geht hier um einen Prozess, den wir gemeinsam bewältigen müssen. Es gibt wie immer direkt Beteiligte und beobachtende Personen, die erst später zum Zuge kommen.“ Ich ziehe das Tuch weg und auf der bemalten Fläche erscheint für alle ein Weg, der in Schlangenlinien mit drei großen Kurven über die Programmpunkte der Veranstaltung zum Ziel führt. 18 Teilnehmer:innen erhalten jeweils ein farbiges Schnurende, mit dem sie gemeinsam einen Stift über die aufgemalte Strecke ziehen können. Die Beobachter:innen ohne Schnurende stellen sich interessiert in die zweite Reihe. „Ihr werdet in der zweiten Hälfte zum Ziel führen. Passt bitte so lange gut auf.“ Das Graphic Recording zeichnet den Prozess auf, der später noch mal reflektiert wird.

 

b. Verlauf und Abschluss
Die Aufgabe des TeamNavigators wird sofort mit dem Abnehmen des Tischtuchs klar. Die Schnüre werden schnell ergriffen und so stark gezogen, dass der schwere Rahmen des TeamNavigators abhebt und sich der Stift unkoordiniert außerhalb des Weges bewegt. Schnell werden Dynamiken, Beziehungen und deren Interdependenz sichtbar und auch körperlich erfahrbar. Es werden die Farben der Schnüre und nach kurzem Hinweis durch den Trainer auch die Namen der Teilnehmer:innen gerufen. Diese sollen ziehen bzw. mit der Schnur nachgeben, damit sich der Rahmen senken und der Stift wieder auf den Weg gelangen und sich dort vorwärts bewegen kann. Die ersten Programmpunkte müssen – durch Herausziehen von im Papier versteckten Moderationskärtchen – entdeckt werden. Beim ersten großen Bogen des Weges werden die Rollen „Ziehen“ und „Nachgeben“ gewechselt. Das funktioniert im Laufe der Übung immer besser.
Dieser Prozess ermöglicht es allen Beteiligten, eine neue Perspektive auf die Ereignisse zu entwickeln. Kommunikationsmuster werden erkannt und – lauthals – benannt. Die Gruppe entwickelt vor allem in der zweiten Hälfte mit den eingewechselten Beobachter:innen neue, kooperative Verhaltensweisen.

 

Reflexion
Die Trainer, die Staatsanwält:innen und die noch anwesenden Autoritäten reflektieren nun gemeinsam, wie der Prozess ablief. Allen fallen die Parallelen zur echten Welt auf: „Der Anfang ist unkoordiniert“, „Anfangs kommt es oft zum Wechsel der Rollen“, „Zuhören und Koordination der Beteiligten sind wichtig“ , „Es wird laut“ , „Nachlassen und Wiederaufnahme der Kontrolle erfolgt im Wechsel bis zum Ziel“.

 

Fazit
Das Tool TeamNavigator ist eher niederschwellig und so für alle Teilnehmenden eine leicht zu bewältigende Herausforderung. Der aufgezeichnete Weg, der gemeinsam eingehalten und nachgezeichnet werden muss, wirkt als Interaktionsmetapher für die Lernprozesse einer Rechtsschule und die engen Regeln in der Rechtsprechung von der Erkennung eines Delikts über dessen kriminologische Bearbeitung bis hin zur möglichen Verurteilung: Der Rechtsweg muss eingehalten werden.
Das Tool eignet sich ganz besonders dazu, um am Anfang des Workshops angestammte Plätze zu verlassen, aktiv zu werden und die Rollen je nach Situation zu wechseln. Die Integration der Gruppe, die Rolle der Counterparts zur Zielerreichung, Abläufe und Führung werden visualisiert und körperlich erlebbar gemacht. Auf diesem Weg können wir später in der Moderation immer wieder auf dieses Erlebnis zurückgreifen.

 

Inszenierung: mit knappen Ressourcen kooperieren – Team²
In einer Gruppenarbeit war es um die Erwartung der Öffentlichkeit gegangen, schnellen und effektiven Rechtsschutz zu erreichen. Zu den Arbeitsbereichen Identifizierung, Feststellung der Tatbestände und Rechtsprechung waren Teams gebildet worden. Deren Kooperation in Seminar und Arbeitsalltag sollte schnell und effektiv mit Team² verbessert werden.

a. Vorbereitung und Durchführung
Zwei bestuhlte Tische waren mit jeweils einem Set der Puzzleteile für zehn Teilnehmer:innen verdeckt vorbereitet worden: „Die Aufgabe eines jeden und einer jeden wird es sein, die richtigen Teile zu finden, um ein Quadrat zu bauen. Die Quadrate sind gleich groß. Es wird nicht gesprochen. Ach ja, und: Sie können Ihre Teile in die Mitte abgeben, aber Sie dürfen nicht in den Bereich der anderen Teilnehmer:innen eingreifen.“

 

Übertragung in die echte Welt (Team²)

Elemente im LernprojektElemente in der echten Welt
Regeln werden vorgestellt Gesetze und Verfahren werden offiziell publiziert
Puzzleteile mit Tischdecken abgedecktUngewissheit nicht aufgedeckter Fälle, geheime Akten,
unbekannte Zeug:innen, Opfer und Tatsachen
Gekennzeichneter Arbeitsbereich vs. Allgemeinfläche im Zentrum des Tischseigener Verantwortungsbereich, vertrauliche Information
vs. öffentliche Bereiche, öffentliche Information
Ziel: einheitliche Quadrate aus unterschiedlichen Teilen bildenRechtsnormen einhalten, Grundsätze und Prinzipien
durch unterschiedliche Verfahren einhalten
Verbaute Teile verhindern die Gesamtlösungunstimmige Gesetzesvorlagen führen zu Widersprüchen
und Verzögerung der Verfahren, Gesetzeslücken zum
Verlust der Anklage
Vertraute Kooperation im gemeinsamen Bereich in der Schlussphasegute Zusammenarbeit in und zwischen den beteiligten
Institutionen im öffentlich geregelten Bereich, wirksamer
Opfer- und Zeug:innenschutz sichert die Lösung und
rechtskräftige Verurteilung

 

Die Tischdecke wird an beiden Tischen gleichzeitig weggenommen. Die Teilnehmer:innen sehen Puzzleteile in verschiedenen Größen, Formen und Farben vor sich. Auf dem Tisch sind persönliche Bereiche direkt an jedem Platz gekennzeichnet und in der Tischmitte ein gemeinsamer Bereich. Manche holen sich bis zu fünf Teile dazu, andere sind zögerlich. Wenn sie nicht aufpassen, werden ihnen noch die wenigen Teile aus ihrem Bereich (unerlaubt) weggenommen. Einige haben ein Quadrat, anderen fehlen Teile, manche haben Teile verbaut, die an anderer Stelle gebraucht werden.

 

b. Verlauf
Die Ratlosigkeit wird durch Rollentausch hin zu Kooperation und Moderation mit Handzeichen im gemeinsamen Bereich der Tischmitte überwunden. Die zweite Gruppe am anderen Tisch bleibt unbeobachtet.
Ein Tisch ist schneller fertig. Die Teilnehmenden dort werden aufgefordert, noch nicht zu feiern, sondern den anderen Tisch zu beraten. Die Beratung wird aber nicht gewünscht und muss behutsam erfolgen. Es wird langsam klar: Die Aufgabe ist erst gelöst, wenn beide Tische fertig sind und das wird dann auch gemeinsam gefeiert.

 

Reflexion
Die Teilnehmenden kennen aus der Praxis die starke individualistische Neigung der juristischen Funktionär:innen, die der Erwartung eines schnellen und effektiven Rechtsschutzes entgegensteht. Die Arbeitsbereiche Identifizierung, Verbrechensaufklärung und Rechtsverfolgung erfordern immer wieder gute Zusammenarbeit aller Beteiligten zur zügigen und erfolgreichen Bearbeitung der Fälle. Dabei muss die Form eingehalten und Ruhe bewahrt werden.
In der Endphase war an den Tischen eine kooperative und produktive Stimmung eingetreten: Eine Teilnehmerin kommentierte: „Jeder hat seine Form, aber wir müssen mehr (gemeinsam) erreichen.“ Eine andere: „Wenn ich eines meiner Teile hergegeben habe, wusste ich, dass mir auch von den anderen geholfen wird.“

 

Fazit
Dominantes, eigennütziges Verhalten kann (juristische) Verfahren blockieren. Die Übersicht der Gesamtaufgabe und die Fähigkeit, zu integrieren, tragen zur Lösung der Aufgabe bei. Mit Team² konnte die Gruppe eine individualistische Arbeitsweise und Arbeitsblockade drastisch erleben und durch Kooperation im „öffentlichen Bereich“ überwinden.
Das Tool passt gut zum mittleren Teil eines Seminars, wo es schon auf individuelle Ergebnisse ankommt, zu denen die Kooperation innerhalb thematischer Arbeitsgruppen wesentlich beitragen wird.
Unterschiedliche Vorgehensweisen, die analytische Beobachtung und die Moderation mit Handzeichen helfen bei der Lösung. Die Elemente der Interaktionsmetapher lassen sich auf Teamsituationen, aber auch auf die Zusammenarbeit zwischen Organisationen übertragen. Team² kann an vielen Tischen parallel moderiert werden und ist deshalb sehr flexibel einsetzbar.

 

Inszenierung: Zusammenhänge der Details erkennen – RealityCheck
a. Vorbereitung und Durchführung
Nachdem die drei Arbeitsbereiche Identifizierung, Feststellung der Tatbestände und Rechtsprechung von den Gruppen bearbeitet worden waren, sollte im nächsten Schritt eine Liste von Fragen entwickelt werden, die später in Gruppenarbeit von Student:innen der Rechtsschule beantwortet werden würde.

 

Übertragung in die echte Welt (RealityCheck)

Elemente im LernprojektElemente in der echten Welt
Bildkarten sind verdeckt auf dem Boden verteilt, werden aufgenommen Detailinformationen zu Straftaten und Kontext, zufällige
Koinzidenzen ohne erkennbaren Zusammenhang
Bildbeschreibung an Mitspieler:innen kommunizierenAufnahme von Zeugenbefragungen,
Fachdiskussion der Befunde
Gemeinsame Bezugspunkte zwischen zwei Bildkarten erkennenSpurensuche, Indiziennachweise an Tatorten, Befunde
sichern, Register von beteiligten Personen, Akteneinsicht in
der Verwaltung, Kontoauszüge
Bildkarten mit gemeinsamen BezugspunktenRekonstruktion von Abläufen, Aufbau von Indizienketten,
Beziehungen unter Personen
Logische Verbindung und sequenzielle Abfolge der Bildkarten herstellenFluss von Informationen, Beteiligung und Zahlungen,
Zusammenhang mit anderen gleichzeitigen oder früheren
Fällen, Seriendelikte, unmittelbare oder zukünftige
Gefahrenpotenziale

 

Das didaktische Ziel der Fragen war, ein Bewusstsein über die Zusammenhänge der drei Bereiche zu schaffen.
Die Bildkarten von RealityCheck stellen Szenen einer zusammenhängenden Geschichte dar. Wir verteilen sie abseits von den arbeitenden Gruppen verdeckt auf dem Boden und informieren die drei Arbeitsgruppen: „Ein neuer Fall muss hier im Raum aufgedeckt und die Zusammenhänge müssen geklärt werden. Bitte nehmt euch je eine der Bildkarten, die jeweils eure begrenzte individuelle Sicht darstellt. Bitte nicht herumzeigen, sondern kommunizieren.“

 

b. Verlauf und Abschluss
Die Abwechslung zur Gruppenarbeit wird gerne angenommen, schließlich geht es um einen neuen Fall! Alle nehmen sich eine Bildkarte, wir achten darauf, dass sie nicht herumgezeigt, sondern wie die eigene Ansicht im Kopf behandelt und deshalb mit anderen kommuniziert werden muss. Es ist wie im Krimi mit anfangs ungeordneten, ungenauen, ja mit sich widersprechenden Zeugenaussagen und Indizien. Es entsteht Konfusion. Manche fragen nun intensiv herum und entdecken gemeinsame Bezugspunkte, um die sich kleine Gruppen bilden. Urbane und ländliche Umgebung, Urwald und Piraten, ein Tier sowie Menschen in besonderen Situationen etc. Die Zusammenhänge zwischen den Gruppenszenarien sind noch unklar, doch Stück für Stück organisiert sich die Gruppe besser.
Am Schluss werden die Bildkarten vorsichtig abgelegt und die Reihenfolge wird durch die entstehende Übersicht geprüft und wenn nötig korrigiert. Es ergibt sich eine Geschichte, die alle Szenarien verbindet.

 

Reflexion
In der Diskussion entdecken wir viele parallele Beziehungen zwischen dem Ablauf und Ergebnis im Tool und Herausforderungen und Chancen in der Umsetzung von Gerechtigkeit. Es wird reflektiert, wie Einzelbefunde in städtischer und ländlicher Umgebung erst in deren unterschiedlichen Kontexten einen Sinn ergeben. Durch die Betrachtung nur einer Bildkarte ist es nicht möglich, die gesamte Realität zu erfassen. Die eigene Ansicht ist nur ein kleiner Ausschnitt. Auch wenn wir unsere Perspektive genau beschreiben, entstehen Realitäten erst durch die Integration verschiedener Perspektiven aller Akteur:innen.

 

Fazit
Um als Gruppe beim RealityCheck erfolgreich zu sein, ist es notwendig, seine Sicht der Dinge zu kommunizieren, einander zuzuhören und sich miteinander abzustimmen. Auf diese Weise entstehen durch die unterschiedlichen Perspektiven der Teilnehmer:innen „mehrstufige“ Parallelen zu Alltagssituationen in Bezug zur Verbrechensbekämpfung. Einmal mehr wird das didaktische Prinzip realisiert:
ICH – meine Ansichten teile ich mit anderen.
DU – mich interessiert auch deren Meinung.
WIR – mit dem gemeinsamen Wissen überlegen
wir, was wir tun können.

Erst wenn wir unsere Sichtweisen mit anderen teilen und wir uns die der anderen anhören, können wir einen umfassenden Blick auf die Realität werfen und sehen, wie die verschiedenen Realitäten miteinander interagieren und verknüpft sind. Oftmals kennen wir die Ansichten fremder Gruppen nicht und eine Offenheit ist notwendig, um in komplexen Fällen Recht zu sprechen.