Angela Siebold
Die Kompetenz, Vielfalt und Inklusion zu gestalten, gerät hinsichtlich der Herausforderungen des demografischen Wandels in Unternehmen, Verbänden, öffentlichen Institutionen und Or-ganisationen zunehmend stärker in den Blick der Personal- und Organisationsentwicklung. Auch im Ausbildungsbereich, z. B. an den Hochschulen, gewinnen die Themen „interkulturelle Kommunikation“ und „Diversity Management“ an Bedeutung und halten Einzug in Vorlesungsverzeichnisse, Zusatzqualifikationen und spezifische Masterstudiengänge.
Interkulturelle Kompetenz stellt eine Schlüsselqualifikation dar, die in allen Branchen und Bereichen wesentlich für Erfolg ist. Inzwischen liegen auch erste Forschungsergebnisse vor, die zeigen, welche Arten von Training zielführend für die Vertiefung der interkulturellen Handlungskompetenz sind.
Dazu gehören auf jeden Fall alle verhaltensbezogenen Trainings, die die affektive, emotionale und konative Dimension einbeziehen, die stark auf die jeweilige Praxis ausgerichtet sind und sich z. B. an den sogenannten kritischen Ereignissen (critical incidents) orientieren. In den zahlreichen interkulturellen Trainings, die ich in unterschiedlichen Branchen in den letzten Jahren durchgeführt habe, hat sich der methodisch-didaktische Einsatz von Lernspielen wie z. B. CultuRallye und von Simulationen wie Fremde Welt als zielführend und effektiv erwiesen. Dies möchte ich an einigen Beispielen mit CultuRallye und vor allem mit der noch recht neuen Simulation Fremde Welt zeigen. Welches Potenzial in beiden METALOG Spielen darüber hinaus vorhanden ist, wird deutlich in den weiteren Handlungsfeldern, die ich im Anschluss kurz skizzieren werde. Die Konzeption interkultureller Trainings orientiert sich an sogenannten kritischen Ereignissen, d. h. an Situationen, die im beruflichen Alltag von den Teilnehmern erfolgreich bewältigt werden müssen und für die diese bislang keine erfolgreichen Verhaltensstrategien und -muster entwickelt haben.
Die beiden Lernspiele CultuRallye und Fremde Welt lassen genau derartige critical incidents erleben, und das in einer wertschätzenden, spielerischen Form. Daher eignen sie sich sehr gut für interkulturelle Erkundungen und Erfahrungslernen im interkulturellen Kontext. An dem Beispiel der Simulation „Fremde Welt“ will ich das verdeutlichen:
Die Lerngruppe wird in zwei Untergruppen aufgeteilt, die aufgefordert werden, eine jeweils eigene Kultur zu entwickeln mit einer eigenen Geschichte, einem Mythos, eigenen Symbolen etc. Dazu erhalten sie im ausführlichen, kreativen Briefing des Trainers einen Kulturbeutel mit zahlreichen bunten Symbolplättchen, denen die Gruppe dann kulturspezifische Bedeutungen zuweist.
Nach einer Weile besuchen sich Vertreter der beiden Kulturen gegenseitig für wenige Minuten und berichten anschließend in ihrer eigenen Kultur von ihren Erlebnissen und Erfahrungen, die sie dann gemeinsam durch die Erstellung eines Reiseführers für die andere Kultur dokumentieren. In der darauffolgenden Phase werden dann im Plenum die beiden Reiseführer präsentiert und mit den zuvor konstruierten Kulturen verglichen.
Diese Simulation bietet also zahlreiche Lernerfahrungen in kritischen Situationen in den Themenfeldern Konstruktion von kulturellen Werten, Symbolen, Regeln, sowie Kommunikation und Kooperation, Umgang mit Vorurteilen und Stereotypen. Besonders beim Thema Vorurteile und Stereotypen habe ich mit der Simulation in multikulturell zusammengesetzten Gruppen sehr gute Erfahrungen gemacht, weil das Thema in der aktuellen, alle Gruppenmitglieder betreffenden Situation bleibt und eine reduzierende Konzentration auf eigene frühere Erfahrungen von Vorurteilen, Diskriminierungen und Stereotypen vermieden wird. Der Zugang bindet Emotionalität mit ein, bleibt aber im aktuellen Gruppengeschehen und erleichtert somit die kognitive Verarbeitung und Verständigung, indem er die „Täter-Opfer-Perspektive“ und Zuschreibungen aus dieser Dimension vermeidet.
Über das Erleben einer Konfrontation mit verschiedenen kritischen Ereignissen und die anschließende Bearbeitung der jeweiligen Themen hinaus kann die Simulation Fremde Welt auch in weiteren Phasen des Trainings angewandt werden.
So habe ich sie im letzten interkulturellen Training auch noch in der Phase der Lösungsentwicklung eingesetzt. In der Fortsetzung erhielten die Gruppen die Aufgabe, dass Vertreter beider Kulturen ein gemeinsames Projekt planen. Dieses kann man gut an die jeweiligen Berufsgruppen anpassen, z. B. planen Ingenieure ein gemeinsames Brückenprojekt oder Lehrer ein Projekt zum Schüleraustausch oder Architekten ein internationales Kulturzentrum. Die Teilnehmer lernen dann, wie sie die zuvor als kritisch erlebten Situationen auflösen können. Dabei wenden sie dann oft Methoden an, die sie z. T. bereits schon in der ersten Phase angewandt haben, nämlich im gemeinsamen Aushandlungsprozess zur Gestaltung ihrer Kultur. So kann man ein gesamtes Training von zwei Tagen dramaturgisch mit dieser Simulation gestalten, die Fremde Welt ist dabei der rote Faden. Allerdings erfordert dies vom Trainer, dass er eine gute Rahmung schafft, denn die Teilnehmer müssen schon ein wenig warm miteinander sein, bevor man mit der Simulation beginnen kann. Ebenso wichtig ist das Briefing, damit die Teilnehmer sich gut einfinden. Am besten ist tatsächlich der Einsatz eines Co-Trainers, damit beide Gruppen gut eingestimmt werden können. Diese Aufgabe kann aber auch ein Teilnehmer übernehmen, der z. B. anschließend in die Rolle eines Beobachters geht. Wichtig ist, dass die Gruppen gut in ihrer konstruierten Kultur ankommen. Dabei ist die Simulation für alle Gruppen ab einer Größe von insgesamt zwölf Teilnehmern sehr gut geeignet. Die Spielerfahrenen gehen das Ganze sehr fantasievoll und kreativ an und die, die sich gegen Rollenspiele wehren, finden über das Material einen sehr sachbezogenen Zugang. Das Material passt sich sozusagen der Gruppe an. Hier liegen zahlreiche Einsatzmöglichkeiten dieser Simulation. Auch wenn ich sie bislang bevorzugt in interkulturellen Trainings angewandt habe, fallen mir sofort viele andere Trainingssituationen ein, in denen ich sie darüber hinaus einsetzen kann. Im Bereich der sozialen und kommunikativen Kompetenzen geht es ja immer um die Begegnung mit dem anderen, der fremden Welt eben, um unterschiedliche Wahrnehmungen, um unterschiedliche Konstruktionen und Beschreibungen von Wirklichkeit, um verschiedene Werte und Traditionen, um Zuschreibungsprozesse, um Konfliktpotenziale aus diesen Begegnungen und Interaktionen sowie um Aushandlungsprozesse für Verständigung und Kooperation.
Die Transfermöglichkeiten auf reale, alltägliche Situationen in Unternehmen und Organisationen sind quasi unendlich und dadurch, dass sich die Simulation sowohl sehr entfernt wie auch sehr nah an der Realität durchführen lässt, sind dem Trainer viele Einsatzmöglichkeiten gegeben.
Das Gleiche gilt für CultuRallye. Hier erleben die Teilnehmer die Konfrontation mit relativ kleinen Unterschieden in Regeln und Symbolen, kurzum: einen Kulturschock, mit dem sie nicht rechnen und der sie zu einer Veränderung ihres Verhaltens zwingt – eine Situation, die andauert, auch wenn sie ab der zweiten Spielrunde ja wissen, dass sich die Regeln ändern können. Da das Spiel mit Würfeln, Symbolen und Bewegung an frühere Spielgewohnheiten anknüpft, ist es sehr einfach zu verstehen und bringt immer viel Energie, Freude und Spielspaß. Spielunwillige können in der Rolle der Beobachter wichtige Beiträge für die anschließende Bearbeitung bringen. Also hoher Erkenntnisgewinn bei viel Spaß und Dynamik: eine Erfahrung, die lange in Erinnerung bleibt.
In interkulturellen Trainings ist das Spiel eigentlich schon ein Klassiker, weil es den Kulturschock erfahrbar macht. Da aber hier das eigentliche Thema der Umgang mit Veränderung ist, die Reaktion auf fremde Regeln, Symbole und Werte, die Kommunikation in schwierigen Situationen und das Verhalten in unterschiedlichen gruppendynamischen Situationen, lässt sich das Spiel immer einsetzen, wenn es um diese Themenfelder geht.
Daher ist CultuRallye für mich auch in der Team- und Organisationsentwicklung unverzichtbar. Immer wenn es um Veränderungsprozesse in Unternehmen geht, ist dieses Spiel sinnvoll in den Prozess zu integrieren, auch in sehr frühen Phasen. Verschiedene Unternehmens- oder Teamkulturen werden sehr schnell sichtbar. In Beratungsprozessen z. B. kann ich auf diese Weise frühzeitig Einblicke in die Organisationskultur gewinnen und mögliche Arbeitshypothesen entwickeln.
CultuRallye konfrontiert alle Teilnehmer gleichermaßen, bietet zahlreiche Punkte, an denen die anschließende Reflexion ansetzen kann und eröffnet viele Themenbereiche für den Transfer auf die aktuelle Situation im Team oder im Unternehmen. Durch den gezielten Einsatz von Beobachtern kann dieses Spiel aus mehreren Perspektiven betrachtet werden, z. B. auf der kommunikativen Ebene, auf der individuellen Verhaltensebene im Umgang mit Veränderung und auf der Ebene gruppendynamischer Prozesse. So können diese komplexen Zusammenhänge verdeutlicht werden und in aufeinander aufbauenden Trainingsmodulen oder Beratungseinheiten der Reflexion und der kognitiven Verarbeitung zugänglich gemacht werden. Gerade wenn das Thema „Veränderung“ mit Ängsten und Spannungen verbunden ist, kann das Spiel dazu beitragen, dass die Mitarbeitenden wieder in Kontakt mit ihren Ressourcen kommen, dass Energie entsteht und vor allem Humor in das gemeinsame Handeln kommt. Es entwickelt sich auf jeden Fall eine Dynamik, das System kommt in Bewegung, Veränderung findet statt. So habe ich das Spiel sowohl in längeren Prozessen als auch in Kurzworkshops eingesetzt und damit in kurzer, effizienter Weise Impulse für Reflexionen zum entsprechenden Thema gesetzt; für mich ist CultuRallye daher ein „Alleskönner“.
Mein Fazit: Beide Spiele bzw. Simulationen haben enorm viel Potenzial und empfehlen sich für viele Anwendungsbereiche, besonders fpr alle Trainings im Bereich Interkultur, Diversity Management und Inklusion.
Angela Siebold, Supervisorin, Coach, Demografieberaterin, Lehrbeauftragte an der ev. Hochschule Berlin und Lehrtrainerin an der Paritätischen Akademie für interkulturelle Handlungskompetenz.