Dr. Ariane Bentner
Überblick
Zum Abschluss eines ca. viermonatigen intensiven Coachings mit drei Leitungskräften eines Hochschulinstituts entstand eine für mich völlig unerwartete Situation: Auftrag war die Klärung und Lösung eines langjährig schwelenden Konflikts auf der Leitungsebene gewesen. Anlass war der bevorstehende Ruhestand des Chefs, der das Institut „aufgeräumt“ an seinen Nachfolger übergeben wollte und Versäumnisse bei sich sah.
Wir hatten die Konfliktthemen in sieben Sitzungen à ca. zwei Stunden überwiegend mit der Methode der Klärungshilfe (nach Thomann/Schultz v. Thun) überraschend konstruktiv bearbeitet. Nach dem erfolgreichen Abschluss des Konfliktcoachings zeigte sich in der Abschlusssitzung, dass wir zwar alle strittigen Themen auf der Leitungsebene hatten auflösen können, diese aber nun auf der Ebene darunter, bei den Mitarbeitenden, „angekommen“ waren und dort mit entsprechenden Auswirkungen ausgelebt wurden. So wurde dort beispielsweise zwischen den verschiedenen Bereichen nicht mehr miteinander gesprochen. Durch bestimmte Umstrukturierungsmaßnahmen war jedoch zukünftig eine eng verzahnte Kommunikation zwischen den Bereichen unabdingbar. Dies ließ die drei Führungskräfte in Panik geraten, da sie nicht wussten, wie es nun im Institut genau weitergehen sollte.
Thema
Die Führungskräfte erschraken über das Ausmaß der Auswirkungen, die ihr ehemaliges Verhalten am Institut ganz nach dem Motto „die Lösung eines Problems ist die Grundlage für neue Probleme“ ausgelöst hatte. In den verbleibenden drei Stunden Beratungszeit musste ein Lösungsansatz für die Folgen des ursprünglichen Konflikts auf Institutleitungsebene gefunden werden.
Inszenierung
a. Vorbereitung
Ich schlug den Leitungskräften eher intuitiv und aus der (Zeit-)Not heraus vor, die ganze brisante und instabile Situation an ihrem Institut einmal auf einem „schwebenden“ Brett aufzustellen, um zu schauen, wo es am meisten Feuer zu löschen geben würde und wie sie das strategisch am besten angehen könnten.
Meine Hypothese war, dass es hilfreich sein könnte, eine Visualisierung und Veranschaulichung der komplexen und konfliktreichen Gemengelage zu ermöglichen und gleichzeitig immer die Fragilität des Miteinanders an diesem Institut spürbar und erlebbar werden zu lassen. Dies schien mir mit einer Abwandlung von SysTeam als Aufstellungs-Tool ideal möglich zu sein.
b. Durchführung und Verlauf
Ich bat die Kunden, zunächst die aktuelle Situation am Institut mit Figuren auf der SysTeam Platte (nach der Methode systemischer Organisations-Struktur-Aufstellungsarbeit nach Sparrer) so aufzustellen, wie sie ihnen momentan erschien – also ein Ist-Bild aufzustellen, das alle drei Männer teilen konnten. Konkrete Leitfragen dabei waren: Wer ist mit wem verbandelt oder verkracht? Wo funktionieren die Beziehungen? Wo funktioniert die Zusammenarbeit?
Es war für mich völlig unerwartet, wie intensiv und offen sich die Leitungskräfte dieser Aufstellungsarbeit hingaben. Interessant war, dass die drei hier schon häufig eine ähnliche Sichtweise dieser Ist-Situation einnahmen. Die drei Ingenieure arbeiteten nun wie besessen fast zwei Stunden an der Aufstellung der aktuellen Ist-Situation.
Dabei krachte die Platte mehrfach zu Boden, weil sich verständlicherweise keine Balance einstellen wollte. Kein Wunder bei so viel Dissonanzen! Diese Crash-Prozesse wurden lautstark kommentiert: „Hättest du damals besser dieses gesagt und jenes unterlassen, wäre es nicht so weit gekommen …“ und reflektiert: „Wenn ich die Auswirkungen von … damals verstanden hätte …“
Ich bekam den Eindruck, dass diese Aufstellungsarbeit den drei Leitungskräften auch dazu diente, noch einmal abschließend den ganzen Prozess der Konfliktgenese zu durchleben und zu erkennen, welche Anteile sie selbst am Geschehen hatten – und was für die Zukunft anstand. Und das ohne gegenseitige Schuldzuweisung! Das war sehr beeindruckend zu sehen (vgl. „Ist-Bild“).
Es zeigte sich bei dieser „Inszenierung“, dass die Einführung einer neuen Software am Institut maßgeblich Konflikte generiert hatte. Eine massive Rollenunklarheit hatte zwischen dem Leiter und seinen Geschäftsführern geherrscht und alle drei hatten ihre Mitarbeitenden nicht klar genug geführt. Dies alles hatte das Institut (auf dem Brett dargestellt) massiv in Dysbalance gebracht.
c. Abschluss
Im nächsten Schritt ging es dann darum, vom Ist-Bild zu einem realistischen Lösungsbild zu gelangen. Das Aufstellen des Lösungsbildes war schwer, weil klar war, dass die Mitarbeitenden innerlich noch im Kampf- und Konfliktmodus waren – der Krieg war zwar vorüber, aber das zu kommunizieren, würde die nächste Herausforderung für das Leitungsteam werden. Ich bat die Leiter jeweils, Botschaften an ihre Mitarbeitenden zu formulieren, wie „Wir hatten einen Konflikt, den wir nun bearbeitet und gelöst haben“ oder „Es ist wichtig, dass wir alle wieder zu einer konstruktiven Zusammenarbeit finden“. Es war klar, dass sie das Ganze als Teamentwicklungsprozess würden (intern) begleiten lassen müssen. Auch aus Zeitgründen konnten wir das Lösungsbild jedoch nur grob skizzieren und erste strategische Schritte andenken.
Reflexion
Der Fokus der Reflexion lag darauf, dass die Führungskräfte erkennen konnten, was sie selbst durch ihr Tun oder Unterlassen unbewusst zum Konfliktgeschehen beigetragen hatten, und erschrocken waren über die Auswirkungen, die ihr Konflikt am Institut auf der Ebene der Mitarbeitenden nach sich gezogen hatte. Und die sie jetzt nicht einfach wieder loswurden.
Deutlich wurde aber auch, wie wichtig es war, dass sie jetzt diesen Konflikt in relativ kurzer Zeit mithilfe externer Beratung hatten bearbeiten und bewältigen können, dass sie darüber reflektieren konnten und Verabredungen für die nähere Zukunft treffen konnten: Teamentwicklungsmaßnahmen, mehr Abstimmung untereinander, mehr Wertschätzung zeigen, Jahresgespräche führen, Fehler angstfrei ansprechen. Last, but not least plante der scheidende Chef eine Rede an alle Mitarbeitenden, wo er die Bilanz dieses Konfliktklärungsprozesses erläutern und zur konstruktiven Mitarbeit auffordern wollte.
Fazit
Die Leitungskräfte haben sich sehr gefreut, dass wir in kurzer Zeit mithilfe dieses Tools einen guten Überblick über die zuvor als überwältigend erlebte Konfliktsituation in ihrem Institut gewinnen konnten.
„Erwarte das Unerwartete und vertraue deiner Intuition …“ Visualisierung hilft! Begrenzung auch, dafür ist mir das SysTeam in der Coaching-Praxis oder bei der Bearbeitung von Konflikten sehr wertvoll geworden! Ursprünglich aus der Not geboren, ist die Verwendung von SysTeam als Aufstellungs-Tool inzwischen ein wertvolles Werkzeug für mich. Ich habe es seitdem teilweise auch unter Einbeziehung von „echten“ Repräsentanten aus Gruppen immer wieder bei Indikationen wie Konflikten, Grenzen (nicht anerkennen) und Ressourcen-Themen mit sehr gutem Erfolg einsetzen können.
Übertragung in die echte Welt
Mit dieser Verbindung von systemischer Strukturaufstellungsarbeit und SysTeam als einem ganz besonderen Tool können Probleme schnell anschaulich gemacht und mögliche Lösungsoptionen direkt von den Kund:innen durch Versuch und Irrtum ausbalanciert werden. Ungelöste (Grenz-)Themen können unmittelbar bewusst werden.
Anwendungsgebiete sind insbesondere berufliche und persönliche Überlastungsthemen, Konflikte, Strukturprobleme von Organisationen, Gesundheitsfragen und weitere Dysbalancen jeder Art. Die Reflexionsbereitschaft der Beteiligten wird durch diese Arbeit indirekt angeregt und gestärkt. Und: Manchmal ist auch die zweitbeste Balance eine stimmige …
Der Nutzen dieser Methode: die schnelle und für die Beteiligten sofort ersichtliche Erkenntnis, dass ein bestimmtes Maß an Balance, Ausgleich oder im Gleichgewicht-Sein für Menschen (nicht nur) in Organisationen erforderlich und vor allem auch möglich ist.
Literatur
Thomann, C.; Schultz v. Thun, F. (2009): Klärungshilfe 1. Rowohlt, Hamburg
Sparrer, I. (2006): Systemische Strukturaufstellungen. Carl-Auer-Systeme, Heidelberg