Jeder für sich oder alle zusammen? – Wie man durch das „passende“ Problem zum Team wird

ScenarioCards, StackMan & FutureCity

Volker Kleinert

 

Überblick
Die Auftraggeberin, Führungskraft in einem international agierenden Pharma-Konzern, hat ein Problem: Sie hat zwar gute Mitarbeiter:innen in ihrem Team, diese zeigen jedoch keine Bereitschaft, Arbeitsplatzbeschreibungen für Abwesenheitsvertretungen zu erstellen. Das hat verschiedene Gründe wie Arbeitsverdichtung, Umstrukturierung, parallel laufende Projekte. Hinzu kommen neue Managementsysteme, die einige Veränderungen und Anpassungen erfordern.
Alle Mitarbeitende sind auf ihre bisherigen spezifischen Aufgaben spezialisiert, sie sind kompetent und machen gute Arbeit. Eine andere Beratungsagentur ist mit strukturierten Interviews nicht weitergekommen und die Mitarbeitenden stehen Trainer:innen, Berater:innen und Coaches reserviert gegenüber. Manche lehnen ein Teambuilding sogar kategorisch ab. Die Kommunikation in der Gruppe sei zudem nicht gut, so die Führungskraft, da Teammitglieder, die an bestimmten Projekten nicht mitarbeiten, weil sie zugleich in globalen Projekten gebunden sind, nur „von außen“ etwas zurufen.

 

Thema: Wir brauchen Arbeitsplatzbeschrei­bungen und gelingende Kommunikation
Eines war klar: Diese 1,5 Tage werden es in sich haben. Gemeinsam mit der Führungskraft und einem Teammitglied führten wir eine zweistündige Bedarfsanalyse mit dem Trainingsbedarfs-Canvas durch. Damit sollten alle offenen Fragen geklärt und das Ziel des Teambuildings genau geklärt werden. Die Mitarbeitenden sollten erkennen, dass eine Arbeitsplatzbeschreibung und Checklisten ihrer Tätigkeiten sinnvoll sind. Zugleich sollten sie spüren, dass sie weiterhin die Expert:innen für diese Tätigkeit sind. Zudem sollten die Lücken und Tücken der Kommunikation aufgezeigt und Wege gefunden werden, diese zu reduzieren.

 

Inszenierung StackMan: „Wir bauen ein System“
Zum lockeren Einstieg verwendeten wir die ScenarioCards mit der Frage „Welches Bild drückt deine persönliche Stimmung im Team am besten aus?“ Auf diese Weise hatten wir schon einmal einen wunderbaren Überblick über die verschiedenen Sichtweisen und Stimmungen. Es folgte ein kurzer Impuls zu den Entwicklungsstufen von Teams und die Abfrage, wo sich das Team selbst sieht. Wir arbeiteten mit dem Tuckman-Team- und dem Drexler-Sibbet-Modell. Daraus konnte entwickelt werden, was fehlt. Bei den zwei vorgestellten Modellen zeigten sich Parallelen: Es gibt unklare Rollen und unklare Aufgabenverteilung. Es fehlte also an System. Und was kann man da machen? – ein neues System bauen!

 

a. Vorbereitung
An zwei Stellen im Raum wurden jeweils zwei große Tische zusammengestellt, sodass die acht Teilnehmenden genügend Raum für die kommende Aufgabe haben. In der Nähe befinden sich Moderationsmaterialien etc., damit die Teilnehmenden diese ggf. einsetzen können. Ein Flipchart mit den Regeln für den Ablauf wurde vorbereitet und so platziert, dass die Teilnehmenden es jederzeit einsehen können. Für die gesamte Aufgabe wurde kein Zeitlimit gesetzt. Vorbereitet war zudem die weitere Entwicklung in der Aufgabe, ein Rollentausch. Ebenso war der Trainer gedanklich darauf eingestellt, ggf. eine Person aus der Gruppe herauszunehmen und sie zum Beobachter zu machen. Hierzu wurde der Beobachterblock mit einer speziellen Aufgabe bereitgelegt.

 

b. Durchführung
Alle Teilnehmenden stehen zusammen. Dann richtet der Trainer das Wort an sie: „Wir alle kennen es aus dem Unternehmensalltag: Alte Systeme sind überholt und es kommen neue Systeme, die vermeintlich alles besser können. Doch das hat so seine Tücken. Hat man sich erst einmal in etwas hineingefuchst und muss es woanders wieder aufbauen, ist das gar nicht so leicht … Doch ich bin gespannt, wie ihr folgende Aufgabe meistert.
Vor euch liegen Bauteile, die auf eine bestimmte Art und Weise zusammengesetzt werden sollen. Wie, erfahrt ihr im beiliegenden Plan. Sobald euer System steht, wird der Plan zurückgegeben. Ihr seid ja schließlich die Expert:innen. Anschließend ist es eure Aufgabe, euer System abzubauen und an einer anderen Stelle neu aufzubauen. Für den Transport muss das System komplett zerlegt werden und beim erneuten Aufbau muss jede Person beteiligt sein: Das heißt, jede Person muss mindestens ein Teil in der Hand gehabt haben. Für den Wiederaufbau habt ihr eine Minute Zeit. Die Zeit läuft, sobald ihr am neuen Ort die ersten Teile auf der Arbeitsfläche ablegt oder zusammensteckt. Ich bin gespannt, mit wie viel Engagement und Kreativität ihr diese Aufgabe bewältigt …“

 

c. Verlauf
Das Team beginnt zu arbeiten. Man einigt sich darauf, wer welche Teile bewegen soll und wer für welchen Ablauf verantwortlich ist. Es werden Rollen und feste Standorte zugeteilt und ein solider Prozess startet. Der Aufbau nach Plan gelingt gut und beim Abbau gehen die Teilnehmenden sorgfältig vor, sodass die Einhaltung der Zeit problemlos gelingt. Sie feiern und möchten gerne ihre Zeit unterbieten. Doch hier folgt eine „ungeplante“ Entwicklung:
„Ihr seid sehr erfolgreich gewesen und habt fantastisch alles zusammengebaut. Ihr habt eine super Performance gezeigt! Doch nun hat man beschlossen, dass die jeweiligen Arbeitsplätze zu wechseln sind, was andere Aufgaben zur Folge hat. Es kann zudem sein, dass es auch künftig zu weiteren Positionswechseln kommt. Es wäre gut, dafür vorzusorgen. Ich bin gespannt, wie ihr diese Herausforderung bewältigt.“
Die Teilnehmenden überlegen, wie sie sich auf den Wechsel vorbereiten können. Als einer sagt, „Wir können ja einfach Beschreibungen machen, welche Position was zu tun hat, und den Ablauf

 

Übertragung in die echte Welt (StackMan)

Elemente im LernprojektElemente in der echten Welt
StackMankomplexe Prozesse, die klar geregelt sind
Ortswechselständige Änderungen von Vorgaben
Wechsel von Positionen und Aufgabenpermanenter Wechsel von Verantwortlichkeiten;
Unklarheit, wer was machen muss

 

irgendwo aufschreiben, damit er für alle einsehbar ist“, blickt die Führungskraft lächelnd und kopfschüttelnd zum Trainer und macht engagiert weiter mit. Die Teilnehmenden holen sich eine große Metaplanwand, zeichnen dort die Grundrisse auf, bekleben die einzelnen Teile mit Moderationspunkten, die sie nummerieren, und schreiben auf die Metaplanwand für jede Position die entsprechenden Aufgaben. Beim nächsten Zusammenbau sind sie zwar etwas langsamer, doch die vorgeschriebenen 60 Sekunden können wieder eingehalten werden.

 

d. Abschluss
In einer ersten kurzen Reflexion wird festgestellt, dass man zwar auf der eigenen Position der Spezialist sei, jedoch mit einem guten Plan auch an anderer Stelle gute Arbeit leisten könne … Damit endet das Lernprojekt und die Gesamtreflexion und der Transfer in den Alltag wird vorgenommen.

 

Reflexion
Es folgte eine strukturierte Auswertung mit vorbereiteten Fragen:
• Wie bewertet ihr das Vorgehen des Teams?
• Welche Lösungen, die ihr im Projekt gefunden habt, könnten im Alltag hilfreich sein? (Anm.: Hier wurden neben Arbeitsplatzbeschreibungen noch weitere wichtige Elemente genannt)
• Wie können konkret Veränderungen für den Alltag aussehen?

Anschließend wurde für die konkreten Veränderungen gemeinsam ein Aktionsplan erstellt. Die Aufgaben wurden verteilt und auch ein Erledigungsdatum wurde festgelegt.
Im Rahmen dieses Lernprojekts erlebten sich die Teilnehmenden als Team und spürten, dass es gar nicht schlimm ist, wenn jemand anderes die eigene Rolle übernimmt. Zugleich war klar, dass jede und jeder Einzelne auf ihrem oder seinem Gebiet weiterhin Expert:in ist. Den einzelnen Teilnehmenden fiel es leichter, Wissen zu teilen und die eigene Arbeit transparent zu machen. Zudem konnte das Team durch eigene Erfahrung die Vorzüge von Zusammenarbeit und Arbeitsplatzbeschreibungen erkennen, was bisher durch rein kognitive Überzeugungsarbeit nicht gelungen war.

 

Thema: Unsere Kommunikation hat noch Potenzial
Schon beim Einstieg in das Training war beim Auswählen der ScenarioCards deutlich geworden, dass die Kommunikation von allen Beteiligten – ob bewusst oder unbewusst – als Problem wahrgenommen wurde. Im stressigen Alltag kommt es außerdem immer wieder zu Missverständnissen: Im Team kommen Informationen nicht komplett oder verzerrt an. Aufgaben werden zwar mitgeteilt, doch häufig missverstanden.
Um entsprechend in das Thema Kommunikation und das dafür konzipierte Lernprojekt überzuleiten, stellte der Trainer die Frage: „Was braucht ihr, damit eure Zusammenarbeit so toll läuft, wie ihr es in der Aufgabe soeben gezeigt habt?“ Die Antwort der Teilnehmer:innen war: Kommunikation. Der Trainer gab noch einen kurzen Impuls, dass wir oft davon ausgehen, Kommunikation würde gelingen. „Doch stimmt das wirklich – oder hat die Kommunikation in eurem Team nicht mehr Potenzial?“ Die Teilnehmenden waren der Meinung, sie habe mehr Potenzial …

 

Inszenierung FutureCity: „Die Stadt des Wohlwollens aufbauen“
a. Vorbereitung
Die Gruppe aus acht Personen wurde in ein Team der „Visionäre“ und in ein Team der „Macher“ geteilt. Die Zuteilung erfolgte über das zufällige Ziehen von je vier Schokoriegeln zwei verschiedener Sorten aus einem Beutel. So sollte einer bewussten Gruppenbildung vorgebeugt werden. Die Karten des FutureCity waren bereits so vorsortiert, dass drei Gebäude gebaut werden sollten und die entsprechenden Perspektiven bereitstanden.

 

b. Durchführung
Der Trainer wandte sich an die Gruppe: „In hektischen Zeiten ist es gar nicht so leicht, etwas Neues aufzubauen. Wechselnde Ansprechpartner:innen, wechselnde Ziele und manchmal auch ein

 

Übertragung in die echte Welt (FutureCity)

Elemente im LernprojektElemente in der echten Welt
Rollenteilung zwischen Visionären
und Machern
Rollenverteilung zwischen (internen) Auftraggeber:innen
und Ausführenden
Holzklötzeverschiedene Prozessschritte, die
zusammengefügt werden müssen
BildkartenPläne, die nur den Auftraggeber:innen zur Verfügung stehen und nicht ausreichend besprochen werden
Regel, dass alle Visionäre alle Macher
ansprechen dürfen
Vielzahl der Ansprüche an die Teammitglieder, die von vielen Stellen im Konzern gleichzeitig kommen können

 

wenig Stress aufgrund von Unklarheiten in der Kommunikation … Dies alles stellt uns vor Herausforderungen. Wie soll man da noch das Gute sehen? Doch gerade in solchen Zeiten ist es wichtig, sich mit Wohlwollen zu begegnen. Dann gelingt vieles leichter. Daher sollt ihr nun die ‚Stadt des Wohlwollens‘ bauen.
Doch hier gibt es etwas zu beachten: Es gibt Visionäre und es gibt Macher. Die Visionäre sehen die Gebäude, die zu bauen sind, vor sich. Doch sie dürfen sich untereinander nicht absprechen, sondern nur den Machern sagen, was diese tun sollen. Und wie es auch im Alltag ist, darf jeder Visionär jedem Macher etwas sagen. Zudem dürfen die Visionäre nicht bauen, nicht helfen, sondern nur über Kommunikation den Bau in die gewünschte Richtung lenken. Ich bin gespannt, mit wie viel Kreativität, Wohlwollen und guter Kommunikation ihr diese Herausforderung bewältigt.

 

c. Verlauf und Abschluss
Die Teilnehmenden gerieten an ihre Grenzen. Die Visionäre redeten wie wild auf die Macher ein. Schließlich fiel der Satz einer Teilnehmerin: „Das ist wie bei uns im Unternehmen. Jeder will etwas von dir, aber keiner lässt dir Zeit, es umzusetzen.“ Damit wurde das Lernprojekt beendet.
Obwohl das zunächst nach einem Scheitern aussah, entsprach es dem Wunsch der Teilnehmenden, denn sie waren sich sicher, dass sie auf diese Weise einen guten Lerneffekt mitnehmen. Zudem teilte man dann die Pläne und schaute sich gemeinsam an, wie es hätte aussehen sollen. Und dadurch taten die Teilnehmenden ohne Aufforderung genau das, was für den Berufsalltag wichtig ist: gemeinsame Ziele festlegen, sich gemeinsam Ziele und Pläne anschauen, ausprobieren etc.

 

Reflexion
Die Reflexion erfolgte strukturiert anhand der folgenden Fragen:
• Welche Hürden bzw. Schwierigkeiten sind in der Kommunikation aufgetreten?
• Was davon kennt ihr aus dem Alltag?
• Was könnte helfen, damit diese Schwierigkeiten im Alltag seltener auftreten?
Es folgten gute Ideen, die im Alltag des Teams umgesetzt werden können. Damit dies auch wirklich geschieht, wurden im Anschluss die Rollen und Aufgaben im Team besprochen. Ein passender Aktionsplan wurde erstellt und Wertschätzungsinterviews wurden geführt.

 

Fazit
Es war beeindruckend zu sehen und zu spüren, wie es zu „Heureka-Momenten“ kam: Momenten, wo die Beteiligten spürten, wie hilfreich und großartig andere Arbeitsweisen sein können und wie man dadurch sogar noch mehr Zusammenhalt und Wertschätzung erfahren kann.
Für mich als Trainer war die Kenntnis des Problems und das Übertragen in eine andere Welt der Schlüssel zum Erfolg, um in der echten Welt Veränderungen herbeizuführen. Veränderungen, die auf dem Wunsch der Beteiligten beruhten – obwohl sie vorher so lange dagegen waren. In der modernen Arbeitswelt gelang dank dieser Herangehensweise genau das, was Galileo Galilei schon vor mehr als 300 Jahren erkannt hatte: „Man kann einen Menschen nichts lehren. Man kann ihm nur helfen, es in sich selbst zu finden.“
Im oben geschilderten Fall hat sich dies deutlich gezeigt: Alle kognitiven Interventionen, unendliche Erklärungsversuche und auch Anordnungen weckten nichts als Widerstand. Erst die Möglichkeit zur Selbsterfahrung, Selbsterkenntnis und gemeinsam entwickelte Lösungen für den eigenen Kontext ermöglichten Zusammenarbeit und Momente der Erkenntnis, die im wahrsten Sinne des Wortes einen Durchbruch ermöglichen.
Spielerisches Lernen und Entdecken führt zu Ideen und Ansätzen, die vorher lange verworfen worden sind. Was in der Theorie leicht klingt, ist in der Praxis nicht immer leicht zu erreichen. Denn gerade bei „schwierigen“ Teams – wenn man daran glaubt, dass es solche gibt – ist der Grat zwischen Erfolg und Scheitern manchmal schmal. Doch im beschriebenen Beispiel ist er gelungen.
Basis für solch komplexe Teamentwicklungen mit derart guten Ergebnissen sind zweierlei: eine gute Bedarfsanalyse. Und: immer das Ende im Sinn zu haben. Als Trainer war es für mich wichtig, mich vorzubereiten – auf das Erwartete und auf das Unerwartete.
Nicht die Tools an sich sollten im Vordergrund stehen, sondern sie sollten im Hinblick auf das zu lösende Problem ausgewählt werden. Zudem ist es wichtig, sich zu überlegen, worauf man in der Reflexion hinaus möchte. Es müssen gute Transfermöglichkeiten in die reale Arbeitswelt gefunden werden. Denn wenn Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen, Blickwinkeln und Ideen zusammenkommen, gilt es, ihre Aufmerksamkeit entsprechend zu lenken.
Last but not least: Es darf Spaß machen! Das war bei diesen 1.5 Trainingstagen der Fall. Und zwar bei allen Teilnehmenden. Besonders deutlich drückte das ein Teilnehmer aus, der anfangs eigentlich überhaupt nicht teilnehmen wollte: „Ich hätte nie gedacht, dass ich mal so etwas über eine solche Maßnahme sagen würde – aber es hat richtig Spaß gemacht und uns weitergebracht. Vielen lieben Dank!“