Bedeutung geben – über die Kunst der Reflexion

EmotionCards & Moderationsbälle

Tobias Voss

 

„Oh Gott, die Aufgabe haben wir aber so richtig versiebt!“, sagen manchmal die Teilnehmer oder aber: „Wow, wir sind ja super!“ Was ist wohl während dieser Interaktionsaufgabe passiert? Wie sind die Teilnehmer zu ihrem Schluss gekommen? Und um es gleich vorwegzunehmen: Ja! Es könnte sich um ein und dieselbe Gruppe bei der Arbeit mit ein und demselben METALOG® training tool handeln – lediglich um zwei unterschiedliche Erlebnisperspektiven. Und doch sind beides Kommunikations-Angebote einzelner Akteure der Gruppe, die uns Trainer herausfordern können. Denn ein und dasselbe Lernprojekt kann so unterschiedlich wahrgenommen werden. Doch leider kommen diese unterschiedlichen Perspektiven viel zu wenig zum Vorschein – dabei würden sie die Phase der Auswertung um Welten bereichern. Viel zu häufig begreift der Trainer das erste Angebot als die Wahrheit der gesamten Gruppe. Tut er das, wird es tatsächlich zum Fokus der gesamten Gruppe. Hier wäre ein systemisches Auswerten, das eher einem „Bedeutung-Geben“ ähnelt, viel hilfreicher. Denn das erste Statement eines Teilnehmers und die Reaktion des Trainers darauf stellen eine starke Fokussierung der Aufmerksamkeit der gesamten Gruppe dar. Es ist quasi wie das Abstecken eines gemeinsamen Rahmens, in dem dann die weitere Reflexion erfolgt.

Damit die Phase des Bedeutung-Gebens gelingen kann, ist es wichtig, die Gruppe erst einmal aus dem Erlebnis herauszuholen. Sie braucht Abstand zu dem, was eben passiert ist. Denn im Erleben selbst assoziiert zu sein, kann zwar als wichtige Lernposition gesehen werden. Gleichzeitig ist das dissoziierte Lernen aus einer Metaperspektive – also das Daraufschauen auf „was wir eben erlebt haben“ – äußerst hilfreich und birgt ganz andere Lernqualitäten. Hier kommt nämlich der Reichtum der Gruppe in ihrer Vielfältigkeit zum Vorschein. Besonders gut gelingt dies mit dem Modell des 3-phasigen Übergangs, welches das Timing von bestimmten Fragequalitäten beschreibt:

 

TIMING DER FRAGEN: DAS MODELL DES
3-PHASIGEN ÜBERGANGS

 

1. Phase: Sammeln
Ziel ist es hier, möglichst die unterschiedlichen Perspektiven der Teilnehmer zur Geltung zu bringen und gleichzeitig erlebte Misserfolge zu nutzbaren Lernerfahrungen zu machen. Hilfreich ist dabei für mich als Trainer immer folgendes Bewusstsein: Jede Frage, die ich jetzt stelle, fokussiert wie eine Lupe die Aufmerksamkeit, den gedanklichen und emotionalen inneren Suchprozess jedes Einzelnen und den Zustand der Gruppe!

 

Fokus der Fragen in der Phase „Sammeln“:

Wertschätzung der Erfahrungen Einzelner, Abstand gewinnen vom Erleben im Lernprojekt, aufbauen eines ressourcevollen Zustands.
Implizites Vorleben und Einführen folgender Regeln: „Hier darf offen über Erfahrungen gesprochen werden“, „Ich höre Dir zu“, „Wir achten auf die Bedürfnisse von anderen“.

 

Fragekategorien:

• Fragen nach unterschiedlichen Erlebnisperspektiven:
„Wie haben Sie die Durchführung des Lernprojekts erlebt?“ und „Wer hat es anders erlebt?“; „Wie haben Sie sich als Team wahrgenommen?“; „Was ging Ihnen durch den Kopf, als …?“
• Fragen nach Ablauf- und Entwicklungsschritten:
„Welche Phasen können Sie beschreiben?“ und
„Angenommen, Sie geben den unterschiedlichen Phasen einen Namen, …wie würden sie heißen?“;
„Wann hat ein wichtiger Lernschritt stattgefunden?“
• Kompetenzorientierte Fragen:
„Welche Fähigkeiten haben Sie benutzt, um die Aufgabe zu lösen?“; „Welche Kompetenzen haben Sie benötigt?“; „Was hat alles dazu beigetragen, dass Sie die Aufgabe erfolgreich lösen konnten?“
• Umfokussierende Fragen zum Umgang mit Herausforderungen und Niederlagen:
„Wie haben Sie die Phase erlebt, als nichts geklappt hat?“ und „Wie ist es Ihnen gelungen, mit der Herausforderung umzugehen?“; „Welche Kompetenzen hätten Sie gebraucht?“; „Angenommen, Sie würden nochmals vor dieser Herausforderung stehen: Was würden Sie anders machen?“

„Gesprächsschrittmacher“ in der Phase „Sammeln“: Manche Gruppen brauchen in dieser Phase Unterstützung, in das gegenseitige Mitteilen einzutauchen. Folgende Gesprächsschrittmacher können dabei hilfreich sein:

 

Aufschreiben
Manchmal ist es hilfreich, Fragen, bevor sie im Plenum diskutiert werden, der Gruppe schriftlich zu präsentieren und diese dann zu zweit oder zu dritt diskutieren zu lassen. So wird mehr Gesprächsstoff erzeugt. Die Teilgruppen bekommen dann im Anschluss die Aufgabe, sich gegenseitig zu berichten. So kommt jeder zu Wort und hat die Möglichkeit, in einem geschützten Rahmen über individuelle Erlebnisse zu sprechen.

 

EmotionCards
Das Arbeiten mit Bildern stellt eine hervorragende Möglichkeit dar, den Erfahrungen in Lernprojekten Bedeutungen zu geben und diese zu reflektieren. Bilder helfen vielen Menschen, ihre Gefühle leichter zusammenzufassen und auszudrücken. Sie reduzieren die Komplexität eines typischen Ablaufs während des Lernprojekts und bringen Dinge auf den Punkt. Der Trainer verteilt die EmotionCards auf einem Tisch oder auf dem Boden. Dann fragt er die Teilnehmer: „Mich interessiert, wie Sie das Lernprojekt erlebt haben, und ich möchte gerne, dass sich jeder eine Karte dafür aussucht, die für ihn das Lernprojekt widerspiegelt.“

 

Moderationsbälle
Speziell um Gruppen zu unterstützen, denen das Reden über Erfahrungen schwerfällt, habe ich ein Set von „Symbol-Bällen“ entwickelt. Diese Symbole sind natürlich ganz unterschiedlich interpretierbar. Hier einige Beispiele, wie ich sie gerne verwende:

Gehirn: „Ich habe verstanden/gelernt, dass …“
Schlüssel: „Eine Schlüsselerkenntnis für mich war …“ Herz: „Ich habe erlebt/gefühlt …“
Hand offen: „Ich habe Unterstützung bekommen von …/Mir hat geholfen, dass …“
Hand Daumen: „Mir hat besonders gut gefallen …“
Fuß: „Meine nächsten konkreten Schritte werden sein …“ Fotoapparat: „Die neuen Perspektiven für mich sind …“

 

2. Phase: Übertragen
Zentraler Schritt hierbei ist es, die Teilnehmer für eine „Übersetzung“ der Erfahrungen in ihren Alltagskontext zu sensibilisieren. Hier findet der gedankliche Übergang von der Interaktionsaufgabe in die „echte Welt“ der Gruppe statt.

 

Fokus in der Phase „Übertragen“

• Sinn und Relevanz aufbauen für eine Übertragung in den Alltag
• Vorbereiten der Phase „Entwickeln“

 

Hilfreiche Fragen beim Übertragen:
„Welche typischen Alltagssituationen spiegeln sich für Sie in diesem Lernprojekt wider?“; „Wie lassen sich diese Erfahrungen in Ihrer beruflichen Situation nutzen?“

 

3. Phase: Entwickeln
In der dritten Phase lösen wir uns vom Lernprojekt. Es hat uns als Katalysator gedient und wir nutzen jetzt den Schwung für andere weiterführende Prozesse, Coachingstrategien, Kleingruppenarbeiten, Rollenspiel etc.
Das Modell des 3-phasigen Übergangs eignet sich gut für die Umsetzung von Trainingserfahrungen an der sensiblen Nahtstelle zum Alltag. Es erzeugt Praxistransfer. Gleichzeitig müssen wir uns dessen bewusst sein, dass am Ende der Veranstaltung typischerweise der Verantwortungsbereich des Trainers endet. Seminarraum ist Seminarraum. Und dann kommt er wieder, der berühmte Montagmorgen. Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer: Da der Alltag scheinbar sämtliche alte Muster und deren Aufrechterhaltung stabilisiert und dadurch „Neues“ manchmal ganz schnell vom „Alten“ überlagert wird, müssen wir uns die Frage stellen, was wir als Trainer tun können, um die Wahrscheinlichkeit einer Umsetzung von Ideen und Plänen aus dem Kontext „Seminarraum“ zu erhöhen. Wir müssen Brücken bauen: Brücken in den Alltag.