Dr. Axel Felser
Überblick
In unserem Alltag begegnet uns immer wieder folgende Situation: Wir sprechen mit jemandem und haben doch das Gefühl, aneinander vorbeizureden. Begriffe sind zentrale Bestandteile unserer Sprache – und werden sie nicht geklärt, sind Missverständnisse vorprogrammiert.
Kinder sind in diesem Zusammenhang einerseits keine unbeschriebenen Blätter. Sie kommunizieren auf vielfältige Art und Weise – ganz unabhängig von Schule und Erwachsenenwelt. Andererseits lernen sie im Unterricht jeden Tag auch neue Formen von Kommunikation. Und es begegnen ihnen immer wieder zahlreiche neue Begriffe.
Thema: Begriffsbildung und Kommunikationstraining
Im Rahmen einer Doppelstunde wird mit einer vierten Klasse einer Grundschule in Bayern das Thema „Miteinander sprechen“ thematisiert. Die Schwerpunkte liegen dabei auf dem „Wie“ sowie dem Thema, also der konkreten Begriffsbildung. Anhand des Tools KommunikARTio werden die oftmals theoretischen Äußerungen über Kommunikation in der Praxis ge- und überprüft, um daraus Schlussfolgerungen für ein gelingendes Miteinander ziehen zu können. Die Begriffsbildung bzw. das genaue Beschreiben ermöglichen zudem fachliche Anknüpfungspunkte für den Fachunterricht, wie in Mathematik (Formen und Körper) oder Deutsch (z. B. Personenbeschreibung).
Inszenierung
a. Vorbereitung
Mit den Schülerinnen und Schülern werden Ideen gesammelt, wie es gelingt, gut miteinander reden zu können, sodass es nicht zu Konflikten und Missverständnissen kommt. In einem Kreisgespräch werden die Äußerungen wie „Man muss genau zuhören“ oder „Wir sollten freundlich zueinander sein“ auf Wortkarten festgehalten und in die Mitte gelegt.
Anschließend wird das Tool KommunikARTio präsentiert: „Ich habe euch heute eine ganz besondere Knobelaufgabe mitgebracht, mit der wir testen können, wie gut wir zum einen ein Rätsel lösen und zum anderen miteinander reden können. Wir probieren also aus, ob wir die Ideen, die wir gesammelt haben, auch wirklich umsetzen können.“
Die Schülerinnen und Schüler werden nun in Kleingruppen aufgeteilt. Jede Kleingruppe erhält eine der sechs Formen in den fünf verschiedenen Farben. In einer ersten Runde tauschen sich die Kinder über die Form aus (noch ohne Augenbinden) und äußern ihre Ideen, wie sie die Form benennen können. Nachdem sich alle Gruppen auf einen Namen geeinigt haben, z. B. „unser Teil sieht aus wie eine Rakete“, stellt ein Gruppensprecher dieses in der großen Runde kurz vor.
Diese Vorentlastung ist aufgrund des Alters der Zielgruppe notwendig, da die Anforderung des Tools die Kinder sonst überfordern würde.
b. Durchführung
Daraufhin werden die Teile wieder eingesammelt und die Schülerinnen und Schüler nehmen im Sitzkreis Platz. Jedes Kind erhält eine Augenbinde und verbindet sich damit die Augen.
Die Lehrkraft teilt anschließend die Formen so aus, dass jedes Kind eine (andere) Form erhält und zugleich zwei Formen übrigbleiben.
„Tastet zunächst eure Form ab. Nach welcher Form fühlt es sich an? In einem ersten Schritt geht es nur darum, welche beiden Formen fehlen.“
Übertragung in die echte Welt
Elemente im Lernprojekt | Elemente in der echten Welt |
---|---|
Augenbinden | Sprache, die nur in den Köpfen sichtbar ist |
Teile | Begriffe, die auf unterschiedliche Weise kognitiv repräsentiert sein können |
Gruppen, welche die Form vorher benannt haben | gemeinsame Begriffe, die bei allen Beteiligten ähnliche Assoziationen hervorrufen |
c. Verlauf
Die Schülerinnen und Schüler versuchen, ihre Formen zu erraten und sich an die vereinbarten Begriffe zu erinnern. Da es für manche Kinder sehr schwer ist, unterstützt die Lehrkraft und wiederholt immer wieder, auf welche Formen-Namen sich die Gruppen geeinigt haben.
Neben der Herausforderung, die eigene Form zu bestimmen, kommt noch die Absprache in der Gruppe dazu. Nachdem es kurz zu Unruhe kommt, wird eine kurze Zwischenreflexion durch die Lehrkraft eingeschoben: „Was klappt bisher schon gut? Was müsst ihr anders machen, um euch gegenseitig besser zu verstehen?“
Die Kinder einigen sich darauf, die Formen-Gruppen der Reihe nach durchzugehen und die vorhandenen Teile zu zählen. Mit dieser Strategie gelangen sie bis ans Ziel und erraten schließlich die beiden fehlenden Teile.
In einem zweiten Schritt werden auf die gleiche Art und Weise die Farben der Teile bestimmt. Auch wenn es von den Kindern viel Konzentration abverlangt und sie immer wieder Unterstützung und die Erinnerung an die vereinbarten Gesprächsregeln benötigen, können sie die Aufgabe lösen.
d. Abschluss
Anschließend werden die Augenbinden abgenommen und die Formen vor den Kindern auf dem Boden abgelegt. Für ihren Erfolg geben sie sich gegenseitig einen Applaus.
Reflexion
In der anschließenden Reflexionsrunde werden zwei Schwerpunkte gesetzt:
A) Begriffsbildung
• „Haben euch die Begriffe geholfen? Was war dabei leicht, was war dabei schwer?“ Die Schülerinnen und Schüler stellen fest, dass es selbst mit den vereinbarten Begriffen schwer war, da diese zum einen nicht für jede:n wirklich passten und zum anderen in Verbindung zu den Formen noch neu und unbekannt waren.
• „Fallen dir Situationen ein, in denen es dir in der Schule (oder auch außerhalb) genauso geht?“
Einige Kinder merken an, dass sie die Erfahrung auch im Unterricht immer wieder machen, sowohl bei direkt vergleichbaren Situationen (Formen und Körper im Geometrie-Unterricht) als auch in anderen Bereichen.
• „Was können wir tun, damit es dir mit den Begriffen leichter fällt?“
Die Klasse merkt an, dass es vor allem Übung und Visualisierung braucht, um neue Begriffe zu lernen. Dies wird auf Wortkarten sichtbar im Klassenzimmer festgehalten.
B) Gesprächsverhalten
„Was hat gut funktioniert in der Art und Weise, wie ihr miteinander gesprochen habt? Was könnt ihr noch verbessern? Habt ihr euch an die Regeln gehalten?“ Von einigen Schülerinnen und Schülern kommt der Vorschlag, dass das gezielte Ansprechen einzelner Kinder mit deren Namen am hilfreichsten für sie war. Diese Erkenntnis möchten sie auch für andere Unterrichtssituationen mitnehmen, selbst wenn sie sich dort sehen können.
Fazit
Das Tool KommunikARTio stellt selbst Kleingruppen von Erwachsenen vor hohe kommunikative und kognitive Herausforderungen. Umso entscheidender ist es, bei Kindern im Grundschulalter einzelne Elemente herauszulösen bzw. zu entlasten. Der Vorteil liegt darin, dass die Übung wiederholt und dabei in der Schwierigkeit gesteigert werden kann. So kann die Balance zwischen Anspruch und Überforderung gehalten und durch gezieltes Eingreifen der Lehrkraft unterstützt werden. Zugleich fällt es Kindern oft schwer, Erkenntnisse in andere Bereiche zu transferieren. Hier ist es wichtig, auch kleine Fortschritte und Erfahrungen zu würdigen, wertzuschätzen und festzuhalten.