Berufsausbildung als Lernprozess – Den Pfad durch die Lehre gemeinsam finden

Pfadfinder

Volker Witzleben

 

Überblick
Das Tool Pfadfinder wurde im Rahmen eines Teamtrainings mit zehn Auszubildenden und zwei Ausbildern der Firma „Stahlwerk Annahütte“ in Ainring eingesetzt. Das Teamtraining fand 2019 in der Nähe von Wagrain im Freien statt.

 

Thema: Berufsausbildung als Lernprozess

 

Inszenierung
a. Durchführung
„Der vor euch liegende Teppich steht für eure Ausbildung, die vor wenigen Tagen begonnen hat. Eure Aufgabe ist es, die Ausbildung erfolgreich zu beenden und dabei aus euren Fehlern zu lernen. Ziel ist es, dass alle zwölf Teilnehmer:innen auf dem richtigen Pfad von der einen Seite des Teppichs auf die andere Seite, zum Abschluss der Ausbildung, gelangen.
Wie in der Ausbildung auch könnt ihr viele Dinge zum aktuellen Zeitpunkt noch nicht wissen. Es gibt Felder, die ihr betreten dürft, und Felder, die ihr nicht betreten dürft. Sobald ihr ein ‚falsches‘ Feld betretet, ertönt ein Signal und ihr müsst über richtige Felder das Feld über die Startlinie wieder verlassen. Danach kommt der oder die nächste Azubi an die Reihe und zwar so lange, bis alle Teammitglieder über die richtigen Felder das Ziel erreicht haben.
Fehler passieren, das ist normal. Was wir tun sollten: aus unseren Fehlern lernen. Deshalb kostet der erste Fehler auf jedem beliebigen Feld nichts, der zweite und jeder weitere Fehler 500 €. Denn dieser Fehler wäre vermeidbar, wenn ihr als Team gut zusammenarbeitet.
Insgesamt steht euch ein Budget von 5.000 € zur Verfügung. Versucht, so viel wie möglich von diesem Geld zu behalten – durch kluge Teamarbeit und durch die Umsetzung der Erkenntnisse, die wir uns bereits erarbeitet haben.
Damit die Aufgabe nicht zu leicht wird, dürft ihr während der gesamten Umsetzung nicht sprechen. Nonverbal dürft ihr gerne kommunizieren. Während der Planungsphase könnt ihr euch gerne abstimmen und einen guten Plan entwickeln.“
Nach Klärung der offenen Fragen stellte ich folgende Frage: „Was glaubt ihr denn, wie viel Budget von den 5.000 € übrig bleibt?“ Erstaunlich, wie unterschiedlich die Einschätzungen der Teammitglieder sind und wie dann noch einmal die Strategie überprüft und angepasst wird.
„Nun wünsche ich euch viel Erfolg und gute Erkenntnisse!“

 

b. Ablauf
Die Auszubildenden und Ausbilder hatten sich in der Planungsphase entschieden, klare Verantwortungen festzulegen. Diese als klug befundene Strategie wurde während des Lernprojekts aufgehoben, ohne dass darüber gesprochen werden konnte. Entgegen der ursprünglichen Vereinbarung versuchten alle Teammitglieder, sich den ganzen Weg inkl. der falschen Felder zu merken und brachten sich hierzu ein.
Um nicht vorschnell auf ein Feld zu treten, hatte das Team vereinbart, den Fuß zunächst über das nächste Feld zu halten. Es sollte geprüft werden, ob das Feld betreten werden kann (Zustimmung durch Nicken) oder nicht (Kopfschütteln).

 

Übertragung in die echte Welt

Elemente im LernprojektElemente in der echten Welt
Teppich mit FeldernAusbildung
Falsche FelderFehler, aus denen wir lernen können
Richtige Felder gemeinsamer Weg durch die Ausbildung
Budget (5.000 €)kostenbewusstes Arbeiten

 

An einer Stelle war es besonders spannend: Drei Auszubildende nickten und gaben das nächste Feld frei, während einer der Ausbilder mit dem Kopf schüttelte. Der sich im Feld befindliche Auszubildende betrat das Feld nicht, da er meinte, der Ausbilder werde schon recht haben. Diese Annahme stellte sich jedoch als falsch heraus: Die drei Auszubildenden hatten recht.
Dies führte zu erheblichen Verzögerungen, da dieses Feld auch bei den nächsten Versuchen nicht betreten wurde, obwohl dies zur Lösung der Aufgabe zwingend notwendig gewesen wäre. Erst zu einem späteren Zeitpunkt wagte ein Azubi den Schritt auf dieses Feld und alle waren erstaunt, dass dieses Feld betreten werden durfte.
Mit einem Restbudget von 2.500 € erzielte das Team ein meiner Erfahrung nach durchschnittliches Ergebnis.

 

Reflexion
Ich stellte folgende Reflexionsfragen, um den Transfer in den Alltag vorzubereiten:
• Welche Erkenntnisse konntet ihr gewinnen und wie könnt ihr diese für eure Ausbildung nutzen?
• Wie werdet ihr künftig mit Fehlern umgehen?
• Wie wichtig ist es, dass alle mitdenken und sich entsprechend einbringen?

Die folgenden Erkenntnisse wurden herausgearbeitet und im gemeinsamen „Teambuch“ festgehalten:
• Auch Ausbilder können sich irren. Deshalb ist es wichtig, auch als Azubi ständig mitzudenken, um gemeinsam möglichst fehlerfrei zu arbeiten.
• Eine klare Aufgabenaufteilung hat auch Nachteile, weil die Verantwortung dann auf dieser einen Person liegt und die Abhängigkeit des Teams von diesem Kollegen oder dieser Kollegin sehr groß ist.
• Hilfe anzubieten ist mindestens genauso wichtig, wie Hilfe anzunehmen. Es ist keine Schande, dies zu tun, sondern erspart jede Menge Ärger.
• Wir sollten mehr die Schwarmintelligenz nutzen und uns nicht zu sehr auf Einzelne verlassen.
• Kommunikation ohne Rückfragen ist schwer. Wir sollten deshalb mehr Fragen stellen, um die Kolleg:innen und deren Ansichten zu verstehen.

 

Fazit
Eine tolle Übung, um den Umgang mit Fehlern spielerisch zu trainieren. Allein schon die Erkenntnis, dass auch Ausbilder Fehler machen können, hilft den Auszubildenden in ihrem beruflichen Arbeitsalltag. „Mitdenken und sich nicht blind auf andere verlassen!“ heißt die Botschaft, die alle verstanden haben.
Die Rückmeldungen der Ausbilder und Auszubildenden zu dem insgesamt drei Tage dauernden Training waren durchweg positiv. Die gesamten Erkenntnisse und Erfahrungen wurden am Ende der Tage in einem Theaterstück präsentiert.
Markus (Ausbilder): „Wenn ich gewusst hätte, welche positiven Auswirkungen mein Fehler nach sich zieht, hätte ich ihn bewusst eingebaut … Toll zu sehen, welche Potenziale die neuen Auszubildenden haben.“
Franz (Auszubildender): „Ich habe an diesen drei Tage so viel gelernt, was ich für mein Arbeitsleben nutzen kann. Die Spiele waren cool und erkenntnisreich!“